Helga Houben, Weimar (1947)
Als Flüchtling in Naumburg
Mit Naumburg verbinden mich schöne Erinnerungen aus meiner Kindheit. Im Alter von 3 Jahren musste meine Familie Ihren Heimatort Schumburg verlassen da dieser von den Tschechen besetzt wurde. So wurde Naumburg 1946 zu meiner zweiten Heimatstadt.
Ilse Janda
Kriegstagebuch 1945/1946
Sonntag, d. 8.4.45
Von früh 1/2 5 Uhr bis 6 Uhr Gasalarm. Gaszug bei Bad Bibra getroffen. Gasrichtung unbestimmt.
Montag, d. 9.4.45
Von 1530-1830 Uhr Großalarm. Angriff auf die Stadtsparkasse, Salzstr., Wenzelkirche, Polizei, kl. Salzgasse
Eva Jollasse, Meckenheim (1950er Jahre)
Flüchtlingskind
Wenn ich an Naumburg zurückdenke, fällt mir meine Kindheit ein - ich war 8 Jahre alt, als ich hinkam und 18, als ich wegzog. Ich wurde meinem Alter entsprechend eingeschult und kam mit, obwohl ich durch die Flucht gar keinen oder unregelmäßigen Unterricht hatte.
Dr. Volkard Jung, Karlsruhe-Waldstadt
Erinnerung an Doctor Gualterius Uncus
Jürgen Sauer und ich waren schon zusammen in der Salztorschule und auch im Jungvolk im gleichen Jungzug. Martin Assmus, ehemaliger Vorsitzender des BaND, war erst unser Jungzugführer, später unser Fähnleinführer.
Eberhard Kaufmann
Unser Haus
Unser Haus, in der Kösener Straße, in dem wir wohnten, wurde nachts 2 Uhr besetzt. Wir hatten alle Türen unverschlossen gelassen, als ein Mannschaftswa gen auf den Hof rollte. Auf dem Tisch brannte eine Kerze, Strom gab es nicht mehr. Vorsichtig kam der erste Soldat in die Wohnung, öffnete die Zimmertür nur einen Spalt breit und in der Tür
Horst Kayser
Hilfspolizei gegen Plünderer
Naumburg. Die aus Richtung des oberen Linsenberges kommenden amerikanischen Fahrzeuge bogen wegen der Bombentrichter vor dem Erbsenweg rechtsseitig durch einen Garten, um dann wieder in Höhe Am Gerberstein auf den Linsenberg in Richtung Schönburg aufzufahren. An dieser Stelle lag auch eine getötete Person, an ihr fuhren die
Helmut Kitzmann
Kriegsende
Am 17. Januar 1945 verließen wir unsere Heimat im Warthegau. Es war höchste Zeit, denn die sowjetischen Truppen waren weit vorgedrungen, ein Spähtrupp kam schon auf Sichtweite heran. Ein Treck wurde zusammengestellt, und dann ging es über Breslau, Lieg-nitz, Görlitz, Pirna, Chemnitz in Richtung Westen. Unser Pferdewagen kam am
Hans Lieback, Riegelsberg, Saar (1944-1947)
Betrübliche Wende in Naumburgs Oberschule
1952 machte ich mein Abitur. Mein etwas jüngerer Bruder geht noch weiter zur Naumburger Oberschule. Inzwischen erfassen Gesinnungsmache, Gesinnungsdruck und in ihrer Folge auch Gesinnungsschnüffelei und Denunziation immer mehr Lebensbereiche; unsere Schule bleibt davon natürlich nicht verschont. Die FDJ-Sekretärin Funke, ihr
Hans Lieback, Riegelsberg/Saar (1959er Jahre)
Erste Liebe mit kleinen Hindernissen
Ein Augenblick im Zugabteil
Es ist Samstagmittag, Bahnsteig 3 auf dem Naumburger Bahnhof. Mit meinem jüngeren Bruder Karl sitze ich, Oberschüler mit fast(!) 16 Jahren, im Unstrut-Finne-Express. Wir freuen uns auf das Wochenende daheim in Saubach. Allmählich füllt sich das Abteil.
Hans Lieback, Riegelsberg, Saar (1944-1947)
Pension Vollrath
(1944, mit 10 Jahren)
Die Peter-Paul-Straße ist mit hohen Bäumen bestanden und weitgehend von Hausgärten eingesäumt. Dort hat mich Mutter in der Pension Vollrath untergebracht, damit ich, der Dorfjunge, in Naumburg das Domgymnasium besuchen kann. Ich bin noch nicht ganz zehn Jahre alt.
Karl Lieback, Fürstenwalde (1953)
Die Vorgänge an der Naumburger Oberschule 1953
“Nicht pflichtbewusste Lehrer und charakterlich nicht einwandfreie Schüler”
Laut damaligen Pressemitteilungen führten Vorfälle bei einer Trauerfeier dazu, dass im März und April 1953 eine Reihe Lehrer und Schüler an der Naumburger Oberschule gemäß obiger Überschrift abgestempelt und verfolgt wurden.
Karl Lieback, Fürstenwalde
Tanzstunde 1952
Wie vielleicht auch heute noch wurde das Unternehmen Tanzstunde genannt. Aber es war natürlich ein ganzer Kurs, der über 3 Monate lief und zu dem wir einmal pro Woche abends im Rathaussaal zusammenkamen.
Dieser Kurs war kein gesellschaftliches "Muß". Klassenkameraden, die fernblieben,
Magel, Eva (1933-56)
Nun zu meinen kleinen Erinnerungen
[Versteck]
Mit ca. 4 Jahren kam ich in den Kindergarten, der sich am Neuengüter befand. Ich ging überhaupt nicht gern in den Kindergarten. Mein Vater aber bestand darauf, dass ich ihn regelmäßig besuchte. Da es mir immer schwer gefallen ist, hatten wir uns, unser Pflichtjahrmädchen und ich, einen Plan ausgedacht. Ich versteckte mich unter einer Kiste, die
Hanns-Werner Merkelbach, Kunheim (Frankreich) (1954)
Der Badevertrag
Naumbg. S. d. 10.9.1954
Entschließung zur gemeinsamen Badung. Nach langen Debatten auf der heutigen 2. Hofpause u.s.w. haben sich die Unterzeichneten zur Aufgabe gestellt, gemeinsam solange zu baden, bis es in der hiesigen Saale wegen allzugroßer Kühle im Wasser nicht mehr möglich ist, die Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Das Fernbleiben eines Unterzeichneten vom Baden ohne Entschuldigung beim anderen wird durch eine Rüge des anderen Badepartners bestraft.
Proaspiranten-Kandidat Zippel
Proaspirant H.W. Merkelbach
Dieser Vertrag zwischen dem Proaspiranten Merkelbach und dem Proaspirantenkandidaten Zippel wurde strikt eingehalten. Wir fuhren mit dem Rad bei jedem Wetter an allen Wochentagen zur Saale und badeten dort nackt. Wir ließen uns von der Strömung treiben und gingen in der Nähe von einem Bootshaus wieder aus dem Wasser.
Eines Abends wurden wir dabei von den Ruderern gesehen und ich wurde offensichtlich erkannt. Als ich etwa eine Stunde danach mit meiner Tanzstundendame die Gastwirtschaft am Güterbahnhof (Ende der Burgstraße, links) aufsuchte, waren die Ruderer auch da. Sofort lief am nächsten Tag das Gerücht durch die Schule, ich hätte abends nackt mit diesem – in diesem Falle – unschuldigen Mädchen gebadet.
Wir (Freund Zippel und ich) haben bis etwa 7 Grad Wassertemperatur durchgehalten. Dann wurde die Badesaison für beendet erklärt.
AC bedeutet Aspiranten-Club. Dieser Club (Mitglied unter anderem Ekkehard Hahn) war als Vorbereitung auf das Abitur gegründet worden. Ich wurde – als ein um ein Jahr Jüngerer – zum Proaspiranten ernannt. Ich wiederum nahm meinen Freund Zippel als Proaspirantenkandidaten auf. Hierarchie muss sein.
Es folgt der Vertrag der Saisonbeendigung:
In der Schule am 11.10.1954.
Heute fassten die Mitglieder des A. C. den wahrhaft großen Entschluss, die Badesaison für dieses Jahr zu beenden, da es die Gesundheit aller Mitglieder nicht zulässt, weiter der Abhärtung wegen unseren Körper den Wellen als Opfer darzureichen.
Bis zum nächsten Jahr
Proaspiranten-Kandidat Zippel
Proaspirant Merkelbach
Hanns-Werner Merkelbach, Kunheim (Frankreich) (1954)
Fahnenschwenker 1954
Durch einen alten Freund wurde ich daran erinnert, dass das erste Kirschfest mit Umzug nach dem Kriege im Jahre 1954 stattfand. Wir wurden vom damaligen Direktor Brys und einem Vertreter der Stadt in den Biologie-Saal der Schule gerufen. Mein Freund Johannes Zippel, ein guter Sportler, wurde zum Turnvater Jahn erkoren - und ich zum
Hanns-Werner Merkelbach, Kunheim (Frankreich) (1954)
Wilde Zeiten
Von der Moritzstrasse über den Othmarsplatz kommt man in die Salzstrasse. Gleich am Anfang der Salzstrasse rechts war ein Friseur. Den Namen habe - mit Recht, wie man sehen wird - vergessen. Im Jahre 1948 kam ich aus Bad Bibra nach Naumburg “in Pension” und besuchte die Diesterweg-Schule, die umschichtig mit der Salztorschule im
Dr. Ernst-Joachim Meusel, Rohrbach/Ilm (um 1947)
Naumburger Tanzstunde in der Nachkriegszeit
Selbst während des Krieges wurde in Naumburg noch hin und wieder Tanzunterricht erteilt, obwohl ab 1943 schon 15- bis 16jährige Schüler als Flakhelfer eingezogen und in der Nähe von Leuna stationiert waren. Ein paar in Naumburg verbliebene Pennäler oder junge Fronturlauber aber nahmen gern die Gelegenheit wahr, auf solche Weise zarte
Peter Orlamünde
Eine Kindheit in Naumburg
Wann beginnt die Kindheit? Wann endet sie?
Über die ersten, unbewusst erlebten Dinge kann man nur Berichte abgeben, die man später erfahren hat. So erfuhr ich, dass ich am 5. Juni 1938, es war der Pfingstsonntag, im Naumburger Krankenhaus geboren wurde. Ein Freund der Familie schickte am 8. Juni eine Glückwunschkarte in die Hallesche Straße 41, die erste Wohnung meiner Eltern.
Barbara von Poschinger (1947-1957)
Ernste Probleme
Mit fünf Jahren, 1947, war ich eingeschult worden. In dieser Zeit fing meine Mutter in der Klinik Schiele als medizinisch technische Assistentin (MTA) im Labor an zu arbeiten. Die Klinik Schiele blieb die einzige Privatklinik der DDR. Schichtdienste, Wochenenddienste, ich habe meine Mutter damals selten zu Gesicht bekommen. Um so intensiver
Anneliese Raschkowski, Wolfsburg (um 1953):
Besuch bei Oma in Naumburg.
Meine Großmutter Margarete Herold, geb. Flemming, Mutter meines Vaters, Ernst Herold, lebte in Naumburg. Wir, Mutti, Vati, mein Bruder Ernst und ich lebten in Minden/Westfalen. In den 50-er Jahren besuchten wir Oma in jedem Jahr. Oma bewohnte im Haus, Luxemburg-Str. 25, eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit Küche und Toilette.
Ingo Reich, Bremen (1943-1950)
Wie ich nach Naumburg kam
Als in Berlin wegen der beginnenden Luftangriffe die Schulen geschlossen wurde begab ich mich im Herbst 1943 - damals erst 14 Jahre alt - nach Naumburg. Dort wohnte schon ein Schulfreund von mir, der mir in der Schülerpension Wünscher am Georgenberg ein Quartier beschafft hatte. Die Anmeldung in der Schule war mir überlassen, also
Annelotte Scheidig, Naumburg (1945)
Wie ich das Kriegsende erlebte
Der 12. April 1945 war ein warmer Frühlingstag. Die Sonne meinte es sehr gut mit uns. Sie erwärmte die Zimmer bei geöffneten Fenstern. Wir Kinder spielten draußen im Hof. Die Eltern hörten einen verbotenen Radiosender. Es war schlecht zu verstehen, was sie da erzählten.
Von Manfred Schmidt
Löbitz
Löbitz wurde am 12. April 1945 um 14 Uhr durch die Amerikaner befreit. Am Vorabend des 12. April verkündete die Propaganda im Rundfunk, dass Panzerspitzen im Raum Camburg durchgebrochen waren, die mit allem Verfügbarem aufzuhalten wären. Die Eisenbahnbrücke über die Saale wurde gesprengt. Die Wirklichkeit jedoch war, dass zwei
Gudrun Schostag, Hamburg (1949)
Krippenspiel
Wir schrieben das Jahr 1949. Es war die entbehrungsreiche Nachkriegszeit mit allerlei Nöten und Bedrängnissen. Die Weihnachtszeit nahte heran und aus Verbots- oder anderen Gründen gab es in Naumburg keine Veranstaltung mit christlich weihnachtlichem Inhalt - besonders für Kinder.
Klaus Siebeneicher, Neumünster (1940 – 1956)
Kindheit auf unserem Hof
Geboren wurde ich 1940 und aufgewachsen bin ich auf einem ärmlichen Gelände, in der Weißenfelser Straße 21, gleich neben der Gasanstalt. Und zwar auf dem Hinterhof, rechts. Dort stand einmal eine Kammfabrik und die Wohnungen, die dann daraus wurden, waren billig, kalt und feucht. Aber es gab viele Kinder, mindestens 20.
Doris Siepmann, Oberhausen
Meine Erinnerungen an Naumburg von 1944-1954
Ich bin 1944 am Topfmarkt 11 geboren und habe dort bis 1950 gewohnt, dann zogen wir zum Lindenring 6.
Von dort eingeschult in die Salztor- bzw. Michaelis- Schule in der Schulstr. Später kam ich in die Georgenschule. Meine Lehrerin war Frau Hanna Dehmel, an einige Mitschülerinnen kann ich mich auch noch erinnern: Doris Mommert, Christa König, Gudrun Bobbe , Heidrun Wötzel, Thea Nitze, Ursula Schäpe, Susi Neumann, Marlies
Erich Sojka
Dombesuch
Ewald Schuster, ein deutscher Antifaschist, der den Krieg in französischer Uniform mitgemacht hatte, ließ seine Blicke rundum gleiten bis hoch hinauf zu den Spitzen der Türme des Naumburger Doms. Es schien ihm wie ein Wunder. Noch vor wenigen Tagen hätte er nicht geglaubt, je lebend der Torgauer Todeszelle zu entkommen.
Erich Sojka
Unter den Türmen des Doms
Naumburg. Es war am 12. Mai 1945. Das "tausendjährige Reich des Feldherrn aller Zeiten" war endgültig zusammengebrochen. Die Spitzen der sowjetischen und amerikanischen Truppen hatten sich bei der Festung Torgau an der Elbe getroffen und den dort Eingekerkerten die Zellen geöffnet. Auf allen Straßen Deutschlands strömten
Dorka, Karl
Die Filmtheater in der sowjetischen Zone
Es ist wohl bekannt, dass es in der Ostzone keine unabhängigen, privaten Filmtheater mehr gibt. Selbst wenn hie und da noch ein Filmtheater von seinem alten Besitzer oder Pächter geführt wird, so kann sich dieser kaum noch als "Herr im Hause" fühlen und selbstständig schalten und walten, wie er es möchte.
Die Enteignung der Filmtheater erfolgte in der Ostzone nicht mit einem Schlage und einheitlich. Es wurden politische und propagandistische Winkelzüge angewendet, um die Filmtheater der privaten Hand zu entreißen.
Zunächst beschlagnahmte die sowjetische Militärverwaltung, oder über diese der sowjetische Filmverleih die begehrenswertesten und größten Objekte. Weiter machten sich die Gewerkschaft und die SED zu Recht oder Unrecht durchgeführte Sequestrierungen oder Enteignungen zunutze und setzten sich ebenfalls in den Besitz von Filmtheatern. Mancher Kinobesitzer entdeckte plötzlich wieder eine "unarische" Abstammung um seinen Besitz zu behalten und wiederum andere waren seit je her 100% kommunistisch gewesen. Die kalte Enteignung wurde langsam, aber sicher vorwärts getrieben. Die Theaterbesitzer wurden aus ihren Wohnungen herausgesetzt, ihnen wurde nicht einmal der bescheidenste Wohnraum im eigenen Hause gegönnt. Angehörige und Verwandte der Inhaber wurden nicht mehr in den Betrieben geduldet und langjährige Mitarbeiter misstrauisch beobachtet. Selbstverständlich gab es für solche Enteignungen keine Entschädigungen. Dann fanden sich missgünstige Angestellte, neidische Nachbarn und auch "Genossen", die wiederum aus den politischen Verhältnissen Kapital zu schlagen suchten und manchen Theaterbesitzer um Hab und Gut brachten.
Wer die Ziele der "Sozialisierung" und "Demokratisierung" kannte, war darüber nicht im Zweifel, dass eines Tages sämtliche Filmtheater enteignet werden würden. Dieses Unterfangen musste aber einen "demokratischen" Anstrich bekommen und dem "Volkswillen" entsprechen. Wo in den Landtagen eine SED-Mehrheit war, wurden Gesetze zur Enteignung des Filmtheaterbesitzes ohne Widerspruch angenommen. Die Filmtheaterbesitzer oder Sachverständige wurden dazu nicht gehört. Es war eben "demokratisch" ohne das Volk zu regieren.
In allen Fällen wurden die Enteignungsmaßnahmen damit begründet, dass die Filmtheater kapitalistischer Ausbeutung dienten und diese "kulturellen" Aufgaben nur dann erfüllen könnten, wenn sie in den Händen des Volkes wären. Man setzte sich über die Tatsache hinweg, dass nach 1945 die Filme allein von dem russischen Filmverleih "Sovexport" und die Filmtheater nur solche Filme spielen konnten, die ihnen von diesem Filmverleih zugeteilt wurden.. Eine selbstständige Filmpolitik oder gar eine solche, die den Belangen der Besatzungsmacht zuwiderlief, würde kein Filmtheater riskiert haben. Vielmehr ging das Bestreben der Besatzungsmacht dahin, sich in den Besitz eines großen Theaterparks zu bringen und das ganze Filmwesen ihrer Politik nutzbar zu machen. Das wurde immer wieder unter dem Vorwand propagiert, dass der Film fortschrittlichen und kulturellen Aufgaben zu dienen hätte. Der russische Filmverleih schloss mit den Filmtheatern, auch mit solchen, die zunächst noch im privaten Besitz waren, Verleihverträge ab, die über fünf Jahre liefen. In diesen Verträgen war eine Mindestabnahme von 40% russischer Filme vorgesehen. Der Verleihanteil wurde auf 50% der Einnahme nach Abzug der Steuern festgelegt. Der Unterzeichnung der Verträge durch die Filmtheater wurde sanft nachgeholfen und die Auslegung der Bedingungen wurde seitens des Verleihs ziemlich einseitig aufgefasst. Die Terminierung und Zuteilung der Filme erfolgte durch den Verleih und die Theater hatten keinen Einfluss auf die Programmgestaltung. Gleich nach 1945 wurde zunächst noch eine große Anzahl deutscher Filme gezeigt, die aber langsam durch russische von den Spielplänen abgelöst wurden. In der ersten Zeit waren es russische Filme, die schon ein ziemlich betagtes Alter hatten und den uns gewohnten Ansprüchen in technischer und künstlerischer Hinsicht entfernt nicht entsprachen. Ihre Handlung war durchweg politisch und tendenziös. Das Publikum, das zunächst aus Neugierde zu den Filmen kam, mied sie nach kurzer Zeit und blieb den Filmtheatern fern. Es mussten oft zwei oder drei Wochen hintereinander russische Filme gespielt werden, jeder mindestens eine Woche. Die Auswirkungen auf den Besuch waren katastrophal. Das war eine weitere Taktik, um den privaten Unternehmer mürbe zu machen. Doch dieses Verfahren führte zunächst noch nicht zu dem gewünschten Ergebnis. Die Kinobesitzer verzweifelten, aber sie rangen um ihre Existenz.
Eines Tages wurden dann die Theaterbesitzer aufgefordert, ihre Häuser dem russischen Filmverleih zu verpachten. Es wurden ihnen 8 bis 10% des Umsatzes geboten, jedoch behielt sich der Verleih vor, alle ihm als notwendig erscheinenden technischen Verbesserungen und Umgestaltungen in den von ihm gepachteten Theatern auf Kosten der Theaterbesitzer vorzunehmen. Wahrscheinlich hätte es nur noch wenige Theaterbesitzer gegeben, die bei einem solchen Vertrag nicht draufgezahlt hätten, zumal sie kein Recht hatten, dem neuen Pächter in seine Maßnahmen hereinzureden. Bei den vorgedruckten Film- und Pachtverträgen wurden Änderungen der Bedingungen seitens der Verpächter nicht geduldet. Während alle Theater nach und nach die Filmverträge unterschrieben oder unterschreiben mussten, fanden sich nur ganz wenige, die auf die Pachtverträge eingingen. Hier war sich die ganze Kollegenschaft einig, dass es ein größeres Risiko nicht mehr gab. Diese Haltung der Theaterbesitzer ließ die andere Seite nun einen anderen Weg einschlagen, der zudem aus bestimmter Richtung gewünschten Erfolg führen musste. Die Enteignung musste vollends geschehen und zwar auf gesetzlichem Wege.
Nun gab es aber noch Länderparlamente die eine bürgerliche Mehrheit hatten. Doch musste man sich wundern, mit wie wenig Verständnis die sogenannten bürgerlichen Mehrheiten den Dingen gegenüberstanden, die von prinzipieller und weltanschaulicher Bedeutung ihrer Parteidogmen waren. Wenn es sich nämlich um die Enteignung von Privatbesitz handelt, so müsste das ihren Parteiprinzipien widersprechen, ganz gleich ob es sich um Hausbesitz, um Land oder um Filmtheater handelt. Als es um den Kinobesitz ging, zeigten die bürgerlichen Parteien eine so unverständlich schlappe Haltung, dass nach zweimaligem Antrag das Gesetz zur Enteignung der Filmtheater angenommen wurde. Eine oder zwei Stimmen Mehrheit der bürgerlichen, die sie tatsächlich hatten, konnten hier zur Gunsten der Filmtheater entscheiden, aber diese Stimmen fehlten. Es fehlten Abgeordnete und es fehlte sogar der Fraktionsführer einer bürgerlichen Partei. Ob die Abgeordneten dieses Mal an ihrer Pflicht gehindert worden sind oder aus ihrem Fernbleiben persönlichen Nutzen gezogen haben, soll hier nicht untersucht werden. Versionen darüber kann man nicht als verbürgt ansehen.
Der Gesetzesentwurf, der von irgendeinem Regierungsrat ausgearbeitet war und schon lange in dessen Schublade lag, enthielt für die Enteignung u.a. fast wörtlich die Begründung, dass zur Führung eine Filmtheaters keinerlei Kenntnisse, sondern nur allein Kapital notwendig sei. Damit sollte die "kapitalistische" und daher unsoziale Eigenschaft der Filmtheaterleute begründet werden. Die Theaterbesitzer wurden zu dieser Angelegenheit nicht gefragt, Fachvertretungen gab es nicht und beherzten Kollegen, die es unternahmen, gegen die Maßnahmen Sturm zu laufen, wurde diskret aber unmissverständlich geraten, in der Enteignungssache weniger Aktivität zu zeigen.
Die Theaterbesitzer waren verzweifelt. Sie kamen heimlich zusammen und berieten über ihr Schicksal. Sie wiesen darauf hin, dass mehr als 70% der Kollegenschaft zur SED gehöre. Sie zeigten, dass die Mehrzahl der Theaterbesitzer Handwerker und Arbeiter waren und das ihr Einkommen oft nicht die Höhe des einen Angestellten erreichte. Sie betonten, dass die Intelligenz der strebsamen Fachleute den großen Fortschritt der Filmtechnik gebracht hat. Sie versuchten zu beweisen, dass nur die persönliche Fürsorge und Mühe um das Publikum der Allgemeinheit am besten diene. Die Kinobesitzer errechneten, dass die Mehrzahl der Theater keinerlei zusätzliche Belastung durch den Verwaltungsapparat vertrage, da die ganze, mitarbeitende Familie der Theaterbesitzer sich auf ein Minimum des Einkommens beschränken müsse. Sie machten darauf aufmerksam, dass sie ja ohnehin schon nur noch Verwalter der Filmtheater wären und auf kulturelle und politische Bestrebungen keinen Einfluss hätten und das nicht einmal ein Reklamedia ohne Zensur laufen dürfe.
Die Theaterbesitzer wurden von einer Panik erfasst und viele trugen sich mit grausigen Plänen. In einer großen Versammlung sollte über die akuten Fragen beraten werden. Der russische Filmverleih veranlasste das Verbot der Versammlung über die Militärverwaltung. Den wortführenden Kollegen wurden Repressalien angedroht.
Die Enteignung der Filmtheater ging jetzt radikal vor sich und von der sonstigen bürokratischen Schwerfälligkeit merkte man dieses Mal nichts. In wenigen Stunden waren die Gemeinden von dem angenommenen Gesetz benachrichtigt und erhielten für die Inbesitznahme ihre Anweisungen. Mancherorts umstellte die Polizei die Gebäude der Theaterbesitzer und stellte die Besitzer unter polizeiliche Aufsicht. Es wurde nicht geduldet, dass die enteigneten Besitzer oder deren Angehörige in den Theatern mitarbeiteten. In manchen Ländern der Ostzone und bei späteren Enteignungen beließ man dann doch manchen Theaterbesitzer als Verwalter, als es sich herausstellte, das die Ablösung der erfahrenen Fachleute in den Theatern chaotische Zustände heraufbeschwor. Diese Einsicht widerlegte schlagend die Behauptung, das für die Führung eines Filmtheaters "nur" Kapital notwendig sei.
Wer etwas tiefer sah, brauchte sich über eine solche Filmpolitik nicht zu wundern. Es ging hier um die "Demontage" eines hochentwickelten Gewerbezweiges und um den Abbau einer beruflich intelligenten Gesellschaftsschicht.
So mancher Theaterbesitzer verließ bettelarm mit seiner Familie bei Nacht und Nebel seine Heimat. Zwar hieß es, dass die Kinobesitzer für den Verlust ihrer Betriebe entschädigt werden sollten, doch darauf warten wohl die meisten von ihnen.
Zunächst übernahmen die Gemeinden die Filmtheater, die der russische Filmverleih noch nicht in seinen Theaterpark eingegliedert hatte. Die Filmtheater wurden von den Gemeinden in ihren Verwaltungsapparat eingeschaltet und den Dezernenten für Volksbildung unterstellt.
Aus den Filmtheatern, die durch ihre Besitzer bisher bemüht waren "Dienst am Kunden" zu pflegen, ihre Programmgestaltung auf die Mentalität des Publikums einzustellen, ihre Häuser für den gastlichen Empfang der Besucher zu betreuen und mit dem Fortschritt der Technik Schritt zu halten, wurden jetzt bürokratisch verwaltete Dienststellen. In die Leitungen setzten sich Beamte, Parteigenossen und manchmal auch Angestellte der früheren Besitzer. Der Betriebsrat hatte das Recht sich in alle Fragen des Betriebes einzuschalten.
Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass manche Gemeinden die Eigenart der, ihr mit den Filmtheatern zugefallenen Unternehmungen, erkannten und bewährten Kräfte aus dem Fach mit der Führung betrauten. Sie ließen ihnen die großzügige Freiheit und Verantwortung, aber es konnte nicht verhindert werden, dass sich untergeordnete Stellen des bürokratischen Verwaltungsbetriebes spürbar hemmend überall einschalteten. Mancher Filmvorführer, der Theaterleiter geworden war, erkannte erst jetzt, was für ein Maß von Verantwortung und ungewohnte Arbeit ihm aufgebürdet worden war. Er wetterte, sofern er sich das zu erlauben glaubte, über den Bürokratismus und über die Diktatur des Filmverleihs. Die alten Vorführer sehnten sich wieder nach der ruhigen und gewohnten Arbeit ihrer Vorführräume und die alten Angestellten dachten wehmütig an die Zeit, in der sie noch ihren "Chef" hatten.
Die neuen Leiter konnten nicht nach ihrem eigenen Willen schalten. Hier war der Bürokratismus ihrer Gemeinden und dort die Diktatur des sowjetischen Filmverleihs. Die Filme wurden von dem Verleih bestimmt und die Anweisungen des Verleihs im Kommandoton den Theatern erteilt. Die Theaterleiter hatten sich dem Filmverleih für unzureichenden Besuch russischer Filme zu verantworten, sie mussten die Besucherzahlen täglich telefonisch melden, sie hatten sich dort zur Inempfangnahme von Rügen und neuen Anweisungen einzufinden. Die Geschäftsführung wurde von den örtlichen Kommandanturen überwacht und die Vorstellungen bzw. das Publikum sorgfältig beobachtet. Der Film hatte – so wurde es immer wieder betont – kulturellen und fortschrittlichen Aufgaben zu dienen und nur allein der russische Film war für diese Aufgaben ausersehen.
Auch die Funktionäre der Partei überwachten die Filmveranstaltungen. Sie fanden oft Gründe zu Beanstandungen, bei denen man aber jede Sachkenntnis vermisste. Schlechte Ton – und Bild wiedergabe, Reißen der Filmstreifen und schlechten Besuch erklärten sie als Sabotage am russischen Film und mussten erst darüber aufgeklärt werden, in welchem schlechten technischen Zustand die Filme und, dass für die Apparaturen auch Ersatzteile notwendig waren. Die fortgebliebenen Kinobesucher mussten noch über die einzige und wahre Filmkunst der russischen Filme "aufgeklärt" werden. Der Theaterleiter war hierfür verantwortlich, er hatte in die Betriebe zu gehen, nach den Filmvorstellungen Diskussionen zu veranstalten und den russischen Film selbst für den besten zu halten.
Die Menschen mieden die russischen Filme und kein Propagandatrick mehr vermochte sie in die Kinos zu locken. Sie schüttelten den Kopf darüber, dass die "volkseigenen" Betriebe sich so gar nicht nach dem Volke richteten, aber die Besucher machten von ihrer demokratischen Freiheit den ihr noch möglichen Gebrauch: sie gingen eben nicht zu diesen "fortschrittlichen" Filmen.
Besser wäre es jedoch gewesen, wenn die russischen Filme einen stärkeren Zuspruch gehabt hätten, denn sie waren zum großen Teil ein vorzügliches Anschauungsmaterial über die Verhältnisse in einem Staat, der den Anspruch darauf erhob, der ganzen Welt seine Segnungen als das einzige Heil zu empfehlen.
Die meisten russischen Filme entbehren jener filmischen Substanz, die den Film zu einem Kunstwerk für sich macht. Die Filme zeigen fast durchweg das Niveau des Filmschaffens vor 20 Jahren. Die Handlung der Filme ist naiv, schleppend und dünn. Sensationelle und erotische Momente, die in den westlichen Filmen oft übertrieben dominieren, sind in russischen Filmen nicht zu finden. Die Technik der Aufnahmen erinnert an erste Aufnahmen eines Amateurs. Das Grundmotiv der Filme ist – sofern sie nicht vom Kriege handeln und oft unerträgliche plumpe Hetze darstellen – Aktivistenleistung, Sollerfüllung, das lockende Ziel einer Moskaureise, ein Orden für gute Schweinezucht und die Segnungen der sozialistischen Revolution. Mancher Witzbold wagte an der Kasse zu fragen, was für ein russisches "Lustspiel" es schon wieder gäbe.
Von den filmschöpferischen Leistungen eines Eisenstein, Pudowkin usw. ist in den russischen Filmen auch nicht die leiseste Spur mehr zu finden.
Selbstverständlich gab es auch neue russische Filme, aus denen die Bemühungen um den technischen Fortschritt zu spüren waren, aber alle diese Filme erweckten den Eindruck von "Belehrungs"filmen, die immer wieder auf propagandistische Aufgaben eingestellt waren. Nach dem Stoff der Filme war alles in Russland erfunden und entdeckt worden und der Sowjetmensch war der fleißigste, der heldischste, der tüchtigste, der intelligenteste, der freieste und der kultivierteste der Welt. Die Filmregisseure störte es nicht, dieses Volk bei "freiwilliger" und "begeisterter" Arbeit mit verbissenen seelenlosen Gesichtern zu zeigen und die im Hintergrund mit MP’s bewaffnete Soldateska, die wahrscheinlich diese begeisterten Massen bewachte, als störend zu empfinden.
Nun war es auch nicht etwa so, dass die Deutschen die Filme nur nicht sehen wollten, weil sie von den Russen kamen. Es gab einige russischen Filme und ganz besonders Farbfilme, deren Handlung schon etwas erträglicher, die farbliche Gestaltung aber hervorragend war. Dazu kamen die sehr schönen Naturaufnahmen für die sich die Besucher sehr interessierten. Solche Filme waren gut besucht. Hervorragend waren die russischen Märchen- und Kulturfilme. Die Märchenfilme waren von einer nahezu verschwenderischen Ausstattung und künstlerisch vortrefflich gemacht. Allerdings war manches Märchen "sozialistisch" gedeutet. Die Kulturfilme, die Landschaften und Tiere zeigten, waren überragend und es war schade um manchen Kulturfilm, dass er unbedingt eine politische Tendenz haben musste. Die Märchen-und Kulturfilme ohne politische Tendenz sind wirklich von internationalem Wert.
Die russischen Filme wurden in den Filmtheatern manchmal bis zu sechs Wiederholungen an einem Platz gezeigt. Es war einfach keine Seltenheit, dass bei dem immer wieder eingesetzten Gleichen kein Mensch im Kino saß und Vorstellungen ausfallen mussten. Da ordnete der russische Filmverleih an, dass mit russischen Filmen soviel Besuch eingespielt werden musste wie mit deutschen, und dass vorher kein deutscher eingesetzt werden durfte. Man stelle sich vor, dass ein deutscher Film in einer Woche das Vielfache der Einnahmen der russischen Filme brachte. Die Theaterleiter, sofern sie Ehrgeiz hatten, verzweifelten über die leeren Häuser, aber auch die, die keinen Ehrgeiz besaßen, verzweifelten, weil sie durch den russischen Filmverleih für den schlechten Besuch verantwortlich gemacht wurden. Der Verleihchef war immer ein russischer Offizier.
Es musste ein anderer Weg gefunden werden, um den "fortschrittlichen" Filmen Besucher zuzuführen: Mit den Eintrittskarten für deutsche Filme sollten gleich Karten für russische Filme verkauft werden. Das sonst verpönte Koppelungsgeschäft sollte hier straflos angewendet werden. Mutige Theaterleiter lehnten es erfreulicherweise ab, solche Geschäftsmethoden einzuführen. Die Kinos befürchteten, dass dann auch wohl der Besuch der deutschen Filme leiden würde. Der russische Verleih machte dann für den Koppelungsvorschlag "untergeordnete" deutsche Angestellte verantwortlich. Merkwürdigerweise waren diese Vorschläge in fast allen Verleihstellen gemacht worden. Dann wurden Kinoabonnements vorgeschlagen, die auch keine Gegenliebe fanden. Weiter erhielten die Organisationen Anweisung, sich mit Nachdruck für die "fortschrittlichen" Filme einzusetzen und die Gesellschaft zur Förderung der deutsch-sowjetischen Freundschaft zeigte in ihren Klubs und an öffentlichen Plätzen russische Filme ohne Erhebung eines Eintrittsgeldes. Im übrigen wurden auch die Filmtheater aufgefordert, solche Veranstaltungen auf den Marktplätzen oder mit Kofferapparaturen, die der Filmverleih gegen Leihgebühr und Bezahlung einer Filmmiete anbot, durchzuführen. Den Organisationen wurden erhebliche Preisermäßigungen bis auf 25 Pf je Platz eingeräumt, dann wurden öffentliche Vorstellungen mit bestimmten Filmen für diesen Eintrittspreis veranstaltet, aber es gelang nicht, den Kinobesuch fühlbar zu beleben. Für Schulvorstellungen waren grundsätzlich nur russische Filme geeignet.
An ein rentables Wirtschaften der Kinos war schon lange nicht mehr zu denken, selbst wenn irgendwo Überschüsse erzielt worden waren, so bildeten diese keine ausreichende Rücklage für Erneuerungen des Betriebes. Das Schlagwort "dass die Bürgermeister die Kinos nicht als melkende Kuh zu betrachten hätten, sondern für die Kultur auch einmal tief in das Gemeindesäckel greifen sollten" gehörte zur ideologischen Phrase eines gutausgerichteten Theaterleiters. Die Gemeinden hatten also das Risiko für die schlechte Filmwirtschaft zu tragen. Jetzt war mancher Theaterbesitzer froh, dass er kein Kino mehr hatte, er hätte es auf die Dauer nicht halten können. Die neuen Kollegen der Kinobranche konnten es sich nicht denken, dass ein zugkräftiger Film und ein gutgeleitetes Haus, die eine Höchstzahl von Besuchern frequentierten, auch einer Idee dienen konnten. Das konnte politisch allerdings gefährlich werden.
Es gab tatsächlich auch einige Leute, die den russischen Film für den fortschrittlichsten und besten hielten und die Filmerzeugnisse der westlichen Produktion als überkultiviert, kitschig und als kapitalistische Machwerke erklärten. Das taten manche mit einer leidenschaftlichen Überzeugung und gesinnungsgetreue Parteigenossen hatten das in ihr Glaubensbekenntnis aufzunehmen. Eines Tages aber soll wohl Stalin selbst gesagt haben, dass die russische Filmproduktion mit der allgemeinen Entwicklung nicht Schritt gehalten habe. Natürlich weiß man nicht, ob Stalin seine Erkenntnisse auch aus den deutschen Filmen, die er zu sehen bekam, bezog. Aber die sowjetische Armee, die in Deutschland war, fällte ein maßgebendes Urteil über die Filme ihrer Landsleute. Angehörige der Besatzungsmacht, selbst die einfachsten Soldaten bevorzugten den deutschen gegenüber dem russischen Film. Sie sagten, und das sagten sie sogar bei neueren russischen Filmen, dass diese wenig "fortschrittlich" sind und zuviel "Moral" hätten. Mit "Moral" sagten sie das, was wir mit dem Wort "Tendenz" meinen. Man sollte also nicht meinen, dass die russischen Filme so kindlich und naiv sein mussten, damit sie den breitesten Volksschichten verständlich wurden. Selbst in den Soldatenkinos wurden deutsche Filme vorgeführt, die nur betitelt waren und diese Filme erzielten Rekordbesucherzahlen durch Soldaten. Auch andere ausländische Filme, die ebenfalls nur betitelt waren – englische und amerikanische – fanden bei den Soldaten reges Interesse. Daraus ist zu folgern, dass das russische Volk nicht etwa problematische künstlerisch und technisch hochstehende Filme nicht versteht, sondern dass die russischen Filmschöpfer, von einigen Ausnahmen abgesehen, mit dem Fortschritt des Filmschaffens nicht mitgegangen sind. Aber wie das so in den "demokratischen" Ländern ist: Auch der Filmdiktator hat nicht Schuld, wenn er schlechte Filme macht, sondern das Volk, weil es diese schlechten Erzeugnisse nicht sehen will.
Die Zahl der in der Ostzone gezeigten deutschen Filme wurde allmählich kleiner. Es wurden keine neuen Kopien gemacht. So verbrauchte sich der Filmbestand, es wurden aus weltanschaulichen Gründen auch immer mehr Filme ausgemerzt. Die Vorführung geeigneter deutscher Filme wurden dann immer wieder auf den Spielplan gebracht und das Publikum verlor das Interesse an den stetigen Wiederholungen. Ab und zu war auch ein englischer oder amerikanischer Film zu sehen. Obwohl diesen Filmen anzusehen war, dass sie nicht der Standardklasse angehörten und ihre Auswahl von gewissen ideologischen Gesichtspunkten erfolgte, brachten sie Rekordbesuch. Auch die Westzonenfilme, an denen man die Dürftigkeit der Nachkriegszeit spürte und deren Handlung noch die Zustände vor der Währungsreform oder allgemeine soziale Missstände zeigten, fanden bei dem östlichen Filmhunger ebenfalls starken Zuspruch. Über das westliche und internationale Filmschaffen berichtete keine Zeitung und Fachschrift. Die Theaterleiter sind von dem Filmgeschehen der Welt vollkommen isoliert, dass es aber auch andere russische Filme gibt, erfahren sie höchstens aus ab und zu erscheinenden negativen Kritiken über Filme kapitalistischer Länder.
Die Filme der später gegründeten DEFA konnten zunächst auch nicht zu den Herzen der Filmbesucher finden. Die Menschen mochten die Tendenzfilme nicht. Genauer gesagt, sie wollten die Tendenz nicht so dick aufgetragen sehen und mit dem Holzhammer belehrt werden. Die DEFA versuchte sich langsam durchzusetzen. Wenn die Filme wirklich gut gemacht waren, so akzeptierte sie das Publikum, auch wenn sie eine Tendenz hatten. Einige DEFA-Filme brachten sogar große Besucherzahlen und fanden zum internationalen Filmmarkt. Irgendwo war man darauf neidisch. Sobald sich ein DEFA-Film als erfolgreich erwies, hatte die Presse und der Rundfunk an ihm etwas auszusetzen und zu mäkeln. Bei dem Film "Die Hochzeit des Figaro" wurden die breitesten Bevölkerungsschichten durch öffentliche Diskussionen und durch Pressepolemiken darauf aufmerksam gemacht, dass mit diesem Film Mozart "gemordet" worden sei. Filme aus der Westzone, die sich bemühten soziale Probleme zu behandeln, also sich doch auch einer "fortschrittlichen" Aufgabe unterzogen, fanden vor der amtlichen Kritik keine Gnade. Die Deutschen konnten ebenfalls keine Filme machen und wenn dem Publikum ein Film gefiel, sogar sehr gut gefiel, dann musste es darauf aufmerksam gemacht werden, dass der Film gar nicht gut sei. Als einmal ein Volkskorrespondent in einer Zeitungsnotiz behauptete, dass die Massen nur Courts-Mahler-Stoffe im Filme liebten, machte jemand, der die Filmbesucher besser kannte, die Zeitung darauf aufmerksam, dass sie hier irrten. Als Beispiel nannte der in Filmdingen Kundigere Filme, wie die "Ehe im Schatten", "Affäre Blum", "Die letzte Etappe", "Land von Sibirien", "Steinerne Blume" um damit zu beweisen, dass gute Filme ohne Unterschied der Nationalität und des Stoffes erfolgreich sein können, wenn sie gekonnt gemacht sind. Mit der Erwiderung sollte der Beschuldigung der werktätigen Massen widersprochen werden, dass sie keinen Geschmack habe. Obwohl ausdrücklich betont wurde, dass die Enteignung im Namen der Werktätigen erfolge, erschien eine Berichtigung nicht. Der Volkskorrespondent und mit ihnen die Presse wissen alles besser und sprechen alles im Namen des Volkes, obwohl das Volk die Presse überhaupt nicht mehr ernst nimmt.
Angehörige der Besatzungsmacht, Soldaten wie Offiziere, lobten die Qualität der deutschen Filme. Sie rühmten die guten deutschen Maschinen, die erstklassige Optik und die gute Wiedergabe. Sie baten oft bestimmte deutsche Filme zu bringen, die sie schon irgendwo anders in Ostdeutschland oder gar in Russland gesehen hatten und oft waren ihnen die Darsteller der Filme geläufig.
Zwischen den Filmtheatern der Ost- und Westzone ist ein augenfälliger Unterschied. In den Theatern Westberlins und der Westzonen herrscht regeste Schaumannsarbeit, Kundendienst und Kundenwerbung. Die Vielzahl der angebotenen Filme lässt mannigfaltigste Spielplangestaltung zu. Die Theater sind sauber und mit Licht wird innen und außen nicht gespart. Das Platzanweiserpersonal ist nett gekleidet und überall spürt man das Mühen um den Besucher. In der Ostzone mangelt es an Beleuchtungskörpern, es fehlt an guten Putzmitteln, Plakatpapier, Farben und Leim sind rar und Fußbodenläufer gibt es nicht. Die Betriebe würden den Platzanweiserinnen keine Kleidung kaufen, denn dafür hat die bürokratische Verwaltung keine Bestimmungen, außerdem gibt es für Kinoplatzanweiserinnen keine Sonderzuteilung in Stoff für ihre Dienstkleider.
Für russische Filme liefert der Verleih ausreichend und oft sogar zuviel Reklamematerial und die Filmtheater haben laut Vertrag nicht das Recht überflüssige und zu teure Reklame zurückzuweisen. Für alte deutsche Filme wird keine Reklame geliefert, nicht ein Plakat oder ein Foto oder ein Personenverzeichnis. Für Interzonen- und Ausländerfilme gibt es ebenfalls keine oder aber nur ganz wenig Reklamematerial.
Es gibt auch Wettbewerbe für die beste Propagierung russischer Filme. Neuerdings wird sogar ein Wettbewerb für die Filmtheater als "Kulturstätten" durchgeführt. Die Kontrollen der Theater, anders kann man die Besichtigungen anlässlich der erwähnten Wettbewerbe nicht bezeichnen, werden durch die Gewerkschaft und durch die Kulturämter durchgeführt und darüber werden Protokolle geschrieben. In den Protokollen wird seitens der Theaterleiter von den Schwierigkeiten der Materialbeschaffung gejammert, aber ein Erfolg wird damit nicht erzielt und die Lage der Kinos nicht verbessert. Die Beschaffung von Ersatzteilen ist außerordentlich schwierig. Für die Tonapparaturen gibt es keine Röhren oder aber nur solche, die minderwertig sind.
In den Theatern, auf den Toiletten und an den Außenfronten der Theater herrscht Finsternis und die Notausgänge sind unzulänglich beleuchtet. Manche Theaterleiter versuchen sich zu helfen. Sie besorgen sich für teures Westgeld Glühlampen und Ersatzteile. Manche Gemeinden drücken dabei ein Auge zu, selbst wenn die Wege solcher Beschaffung vor dem behördlichen Gewissen nicht ganz zu verantworten sind und manche Theater bekommen schon langsam wieder ein verjüngtes Aussehen. Doch mancher Theaterleiter stolperte über eine gar zu eifrige Sorge um sein Theater. Er musste sich wegen Schwarzhandel verantworten, zahlte die Mehrausgabe selbst und wurde dazu noch fristlos entlassen. Allgemein wird erreicht werden, dass auch der rührigste Theaterleiter vor dem Bürokratismus resigniert.
Ausreichende Beheizung der Filmtheater war bis zum vergangenen Winter noch nicht möglich. Man konnte niemand verübeln, dass er darauf verzichtete sich russische Filme anzusehen und dabei noch zu frieren.
Die Gemeinden durften ihre Kinos nicht lange behalten, denn sie durften keine eigenen Unternehmungen haben zu denen auch Straßenbahnen, Schlachthöfe, Stadtwerke, Baugenossenschaften usw. gehörten; sie durften also auch keine Kinos mehr besitzen. Darüber waren viele Gemeinden froh. Zunächst hielten sie die Kinos für "melkende Kühe". Die Einnahmen flossen in die Stadtkassen, oft reichten sie nicht für die Unkosten und Löhne und zum Schluss bekam der Verleih seine Leihmieten nicht. Dringendste Anschaffungen konnten nicht gemacht werden und mancher Bürgermeister runzelte bei der Pleite mit den Kinos seine Stirn. Es wurde ein neuer Weg gesucht, der für die Erhaltung der Filmtheater für den "fortschrittlichen" Film beschritten werden könnte. Die Kinos wurden in die KWU’s eingegliedert, das sind Kommunale Wirtschaftsunternehmungen. Zwar waren sie vorher "volkseigen", aber jetzt wurden sie "kommunal". Die Allgemeinheit konnte mit den Übernahmen in Volkseigentum oder, wie man das noch besser sagte, Überführung in die Hände des Volkes, nicht viel anfangen. Was es darunter verstand ging aus einer Erklärung eines Oberbürgermeisters hervor, dass die Stadt nicht in der Lage sei, nun etwa die Bürger umsonst ins Kino hineinzulassen.
In den KWU’s wurden die Kinos tatsächlich in einen Topf mit den Schlachthöfen, Straßenbahnen, Friedhöfen und Badeanstalten geworfen. Das geschah in der Absicht, Verluste mit Überschüssen auszugleichen und vor allem die Kinos in einem Wirtschaftssektor der DWK, der Deutschen Wirtschaftskommission zusammenzufassen. Das "Kommunale" hatte mit den Gemeinden wenig zu tun. Ein KWU-Direktor führte nun auch die Kinos und die Theaterleiter hatten sich von diesem die Anweisungen für die Theaterführung zu holen, ihm Rede und Antwort zu stehen. Wenn der Theaterleiter noch etwas Berufsehre hatte, musste er sich den kränkenden Umstand gefallen lassen, dass die anderen es besser wussten als er, wie man ein Theater zu führen hat.
Wir wissen es aber, das die Filmtheater überhaupt nicht mehr "geführt" sondern verwaltet wurden. Der Verleih bestimmte die Programmgestaltung und der Amtsschimmel die Verwaltung.
Für Schul- und Kindervorstellungen, für politische Aufklärung, für kulturelle Feiern und für Parteiveranstaltungen waren nur russische Filme grundsätzlich geeignet. An russischen Revolutionsfeiertagen, an Armeegedenktagen, zur Erinnerung an russische Dichter, Denker und Politiker mussten in den Filmtheatern russische Filme eingesetzt und ein Revolutions- oder "Lenin"-Film lief zum x-ten Male vor leeren Häusern. Russische Filme waren für Jugendliche zugelassen, hingegen die meisten deutsche Filme nicht. Diese Prädikate erteilte der russische Filmverleih. Er ließ sich auch von den deutschen Regierungsstellen seine Filme als künstlerisch hochstehend begutachten um Steuerermäßigung zu erzielen, für die deutschen Filme wurde das seltener in Anwendung gebracht.
Da ein großer Teil der Filmtheater im russischen Besitz waren, musste sich der schlechte Geschäftsgang auch auf diese auswirken. Alle Propagandaphrasen von der "kulturellen und fortschrittlichen" Bedeutung des russischen Filmes überzeugten nicht mehr. Man fand heraus, das Filme auch ein "Geschäft" sein müssen, wenn sich die Filmtheater erhalten sollen. Man suchte sich unter den vorhandenen deutschen Filmen weitere heraus, die auf die Spielpläne gebracht wurden. Es erschienen sogar solche Filme, deren Handlungsinhalt mit den gepredigten sozialistischen Lehren im krassen Widerspruch stand. Da wurde der frühere Film "Der Herr Senator" unter dem Titel "Die Jahre vergehen" gezeigt und mit diesem Film das Unternehmertum geradezu verherrlicht und dem strebsamen Kaufmann ein Loblieb gesungen. Weiter wurde der Film "Romantische Brautfahrt" hervorgeholt, dessen Stoff geradezu ein Hohn auf die "Bodenreform" erschien und in der Filmhandlung wimmelte es nur so von Grafen, Exzellenzen, betressten Lakaien und "gnädigen Frauen". In dem Film "Wiener Madin" marschierten die Deutschmeister und das Publikum stieg jubelnd auf die Kinosessel. Dann allerdings wurde dieser Film zurückgezogen und erschien nach einer Weile wieder etwas beschnitten. "Figaros Hochzeit" wurde aus den Weihnachtsterminierungen der Filmtheater herausgenommen und vorrangig nur den Sowexporttheatern zugewiesen; hinterher erst kam der Streit um den "gemordeten" Mozart.
Also musste der Film doch wieder erst ein "Geschäft" sein, damit auch die Sowexporttheater leben konnten und deren Kassen sich wieder füllten. Dabei, vielleicht sah man das ein, brauchte der Film auch nicht kulturfeindlich und unfortschrittlich zu sein.
Nach den vorangegangenen Ausführungen ersehen wir, was es mit der Sozialisierung auch der Filmtheater auf sich hat. Vielleicht können wir daraus eine Lehre ziehen: Der Film sollte nicht nur ein "Geschäft" sein, sondern auch als Kulturgut angesehen und behandelt werden, dann werden die freien Filmtheater auch ohne dass sie verstaatlicht werden müssten "volkseigen" sein. Die Filmtheater sollten darauf bedacht sein, den vielen Armen, Flüchtlingen und politischen Opfern einen Kinobesuch möglich zu machen und solche Bemühungen mit den Fürsorgestellen durchführen. Sie könnten im Winter in warmen Theatern der armen Bevölkerung einige Stunden Aufenthalt und dann auch noch eine Filmaufführung gönnen und sie würden sich dankbare Herzen erobern. Viele Menschen haben nicht den bescheidensten Platz, den sie als ihr Heim bezeichnen könnten und würden glücklich sein, sich irgendwo, und in diesem Falle in einem Filmtheater, wohl zu fühlen. Mit solchem Unterfangen würden die Kinos der verlogenen Propaganda vom "Sozialismus" und dem Verlangen nach Enteignung der Filmtheater wirksam entgegen arbeiten. Niemand weiß es mit Sicherheit, dass er nicht eines Tages vor ein gleiches Schicksal gestellt wird, wie die Kollegen der Ostzone. Die Theaterbesitzer können sehr viel tun, die Bemühungen des Staates und der echten Demokratie zu unterstützen. Sie können das noch mit freiem Willen und froh tun, denn sie können dankbar dafür sein, dass sie noch frei und unabhängig sind. Freiheit sollte nicht zum Egoismus werden und auch der Theaterbesitz sollte als anvertrautes Volksgut angesehen werden und die Treuhänderschaft darüber mit Sorge und Verantwortung getragen werden.
Alte Kinobesitzer, die noch in der Ostzone weilen, sprachen in internen Kreisen oft darüber, wie es einmal war und was sie heute anders machen würden, wenn sie wieder ihren Betrieb hätten.
Elke ?
Karpfentauchen
[Folgenden Eintrag hat "google" auf der Suche nach dem Stichwort "Karpfentauchen" für uns - im cache - gefunden. Leider war der Originalbeitrag vom 2.Januar 2007 bereits gelöscht und die entsprechende Seite tot, so dass wir nicht wissen, woher der anonyme Beitrag genau kommt . Wir übernehmen die wenigen Zeilen hier dennoch, weil sie an
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