Wachsmuth, Waltraud Bauer (alles Einträge in mein Poesie Album aus dem Jahr 1953, leider habe ich aber nie wieder Kontakt zu ihnen gehabt.
Meine Mutter wurde 1916 in Oberhausen /Rheinland als 1. von 7 Kindern 1916 geboren, ging dort zur Schule, machte ihre Ausbildung und arbeitete als Verkäuferin in einem Kolonialwarenladen.
Anfang 1938 verließ sie ihre Heimat zusammen mit der Freundin aus Oberhausen “Luise Jeschke” und folgte dem “Ruf des Vaterlandes “ als Hilfsschwester zu arbeiten, Menschen zu pflegen und die Geburtshilfe zu erlernen bzw. der Hebamme zur Seite zu stehen. Nach welchen Kriterien auch immer, wurden sie ins Städtische Krankenhaus nach NAUMBURG beordert.
Nach sehr kurzer Schwesternzeit infizierte meine Mutter sich mit TB und Diphtherie, und wurde auf die Isolierstation des Krankenhauses verbannt. Als es ihr nach mehreren Wochen wieder etwas besser ging, teilte man ihr auf mysteriöse Art mit, dass die Freundin Luise Jeschke und damals ihr einziger nahe stehende Mensch in Naumburg, bei einem Angriff des Feindes, im Einsatz in einer anderen Stadt zu Tode kam. Keine nähere Information, kein wie und wo, keine Grabstelle, trotz vieler Nachfragen. Meine Mutter war verzweifelt, traurig und wütend auf die Menschen die Ihr die liebe Freundin weggeschickt bzw. genommen hatten. Nach ihrer Genesung wollte sie nicht mehr in diesem Krankenhaus arbeiten, und kündigte. Einem Patienten erzählte sie ihre Situation und dass sie ja sowieso gelernte Verkäuferin wäre und nicht mehr Krankenschwester sein wolle. Dieser Patient sagte ihr, sie solle doch mal in “ Eckard́s Weinstuben “ am Topfmarkt 11 vorsprechen. Dort wären seine beiden Söhne ( Moritz + ? ) beschäftigt und wären jetzt zum Kriegsdienst einberufen worden, da würde sicher eine Verkaufskraft gebraucht. Auch der Sohn von Eckard́s “Helmut” wäre wohl einberufen und man würde Arbeitskräfte suchen, zum Bedienen in der Weinstube und auch eine Verkäuferin im Feinkostladen. Sie fragte an und wurde dort ab Okt. 1938 eingestellt und wohnte auch im Hause bei Eckard́s, Topfmarkt 11.
Neben dem Bedienen im Laden und in der Weinstube wurden auch Arbeiten im Weinberg, Weinflaschen spülen, abfüllen, verkorken, etikettieren, einlagern und vieles mehr von ihr erwartet und ausgeführt.
Ein schlimmes Erlebnis befreite sie von der schweren Arbeit im Eckardschen Weinberg: Bei Arbeiten im Weinberg war plötzlich ein Bienenschwarm um ihren Kopf herum, sie rannte zu einer Wassertonne und steckte den Kopf tief ins Wasser, das rettete sie, aber etliche Stiche und Stachelentfernung beim Arzt ließen sie lange leiden. Noch heute hat sie höllische Angst vor Bienen und Insekten.
Die Weinfässer wurden damals im Keller Topfmarkt 11 und in den Kellern der Nachbarhäuser eingelagert. Ein Teil der Flaschen war auch in dem Keller eingelagert, in welchen die Familie und Hausbewohner sich in der Kriegszeit bei Bombenalarm begeben mussten. Mich brachte man damals im Kinderwagen dort hinunter und nach dem Verlassen des Kellers lag die eine oder andere Flasche Wein, an meinen Füßen, im Kinderwagen. Man sagte: “ Das muss der heilige Geist gewesen sein “. Wer sonst? Aber das war schon ein paar Jahre später, nachdem meine Mutter am 6. Sept. 1941 Herrn Artur Rößler genannt Akki, geheiratet hatte.
Im Dienste bei der Familie Eckard kochte ein Frl. Friedchen Stichling für die Angestellten unter anderem, oft ” Kartoffelsuppe” welche meine Mutter überhaupt nicht mochte (wegen diverser Gewürze und dicken Kartoffelstücken). Und eben wegen dieser Suppe packte meine Mutter eines Tages ihre Habseligkeiten und wollte weg vom Topfmarkt und Eckard́s, weg nach Hause. Als sie aus dem Haus kam, durch das große Tor neben der Weinstube, standen da zwei Herren welche gerade die Weinstube verlassen hatten, sie redeten meine weinende Mutter an, und fragten ob sie helfen könnten. Sie erzählte ihr Leid und dass sie weg wolle. Die beiden Herren konnten meine Mutter überreden, in so unsicheren Zeiten nur wegen einer dummen “Kartoffelsuppe” ihre doch relativ sichere Bleibe zu verlassen. Auch eine Kollegin aus der Weinstube bei Eckard eine “Fanni Hinterholzer “aus Kitzbühl oder St. Johann in Tirol redeten meiner Mutter damals gut zu, und sie blieb da.
Na ja, die Zeit verging und 1941 hat sie dann einen der beiden Herren geheiratet und der andere Herr ”Willi König” war mit seiner Freundin, genannt “Bummelchen” Trauzeugen. Noch heute ist meiner Mutter “Kartoffelsuppe “ ein Graus und sie hungert eher, als welche zu essen.
Nach der Hochzeit richtete man im Hinterhaus Topfmarkt 11, eine kleine Wohnung (Toilette im Flur) ein. Zur Eheschließung bekam man damals einen Bezugschein über 350 Mark zum Erweb einer Wäschewanne voll Hausrat, einzulösen in einem Hausratgeschäft, wegen einer Trauung. Meine Mutter arbeitete weiter bei Eckard und mein Vater war Drucker erst bei ” Sieling” später am Bahnhof bei “Tribüne”.
Der Gesellenbrief meines Vaters ein so genannter “Gautschbrief” der G.Patzschen Buchdruckerei , Naumburg, aus dem Jahr 1923, bestätigt durch den Gautschmeister Franz Schilling, dem 1. Packer Emil Heise, dem 2. Pakker Hermann Kulusa, dem 1. Schwammhalter Walter Großer und dem 2. Schwammhalter Conrad Lurtz, hängt noch heute bei mir an der Wand. Später war mein Vater oft der Gautschmeister selber, in Ausübung seines Berufes, und hat die Reden zu den Gautschfeiern der jungen Buchdrucker gehalten. Ich musste immer seine Gautschreden abhören, die er verfasste.
Hier wäre noch zu sagen, dass 5 weitere Geschwister meines Vaters in Naumburg geboren aber durch Heirat aus Naumburg weg zogen, aber alle kinderlos waren. Mein Vater war der jüngste Sohn des Hermann Otto Rößler (gelernter Steinmetz) und Friedericke Auguste geb. Röbenack, damals wohnhaft Naumburg, Große Wenzelstr. 26.
Der Weg zum Linsenberg führte entweder über Grochlitzer Str. oder Schönburger Str. hier kam man einem Haus vorbei wo man oft Babygeschrei hörte, das war damals die Babykrippe wo ich mir überhaupt nichts drunter vorstellen konnte.
Die Tochter meiner Tante Marta “Renate” war verlobt mit dem Sohn einer Frau Rosa Schrader wohnhaft Linsenberg 3, der Verlobte fiel im Krieg und Renate wurde von Frau Schrader adoptiert und erhielt deren Mädchennamen Bierwirth (aus erbrechtlichen Gründen). Ich glaube sie war in Naumburg beim Stadtamt und auch als Schöffin beim Landgericht beschäftigt, aber genau weiß ich nicht was sie beruflich tat. Auch sie ist inzwischen verstorben. Nun war diese Frau Schrader zuvor mit einem Bürgermeister aus Schafstett (?), verheiratet. Nach dessen Tod war meine Tante “Marta” älteste Schwester meines Vaters, Gesellschafterin bei Frau Bürgermeisterin Schrader, ja sie ließ sich so anreden, nur ich durfte Tante Schrader zu ihr sagen. Ihr Haus war wie gesagt Naumburg Linsenberg 3, ein Paradies für mich. Es gab einen wunderschönen Garten, einen Dachboden, (von welchem mein Bruder Wolfgang so manches Teil “aussortierte”) mehrere Kellerräume, durch welche man in den Garten gelangte, Küche separat, Schlafzimmer mit kleinem Wintergarten, 1 Esszimmer , 2 Wohnzimmer, aus meiner damaligen Sicht einfach märchenhaft, weil unsere eigenen Wohnverhältnisse wohl sehr bescheiden waren. Ich war oft dort, obwohl nicht immer gerne, weil man besonders brav, manierlich und höflich sein musste. In diesem Haus gab es so wunderbare Sachen wie einen Kachelofen in jedem Zimmer, eine Ledereck- Sitzbank im Essbereich, herrliches Geschirr, viele Bücher, wunderschöne Glaswaren in Glasschränken, gehäkelte Decken und Blumenvasen auf den Tischen, dicke Teppiche und viele Bilder und Spiegel an den Wänden. Nur das Klo war mir suspekt, im Treppenhaus ein paar Stufen runter, und oberhalb hing ein Wasserkasten mit Strippe, der auch ständig im Winter einfror. Dann musste man einen Eimer mit warmen Wasser aus der Küche mit zur Toilette nehmen und spülen.
Bei Tante Schrader gab es auch wunderbare “Märchenbücher” die standen im Glasschrank , aber wenn ich versprach vorsichtig zu sein, durfte ich sie mir ansehen, lesen konnte ich ja noch nicht. Jede Geschichte hatte viele Bilder (ich denke es waren diese Zigarettenbilder Alben) Manchmal las mir auch jemand etwas vor. Da war die Geschichte vom “ Dilldopp” oder vom “Dicken, fetten Pfannekuchen” der “Kanntapper-Kanntapper” zur Stadt raus lief, und viele, viele Geschichten mehr. Später bekam ich auch das eine oder andere Buch geschenkt, wenn ich versprach immer fleißig zu lesen. Tante Schrader hatte immer dunkle lange Kleider an, mit Rüschen am Hals und einer “Gemme” aus Elfenbein.
Im ihrem Garten habe ich einmal von ihren Passionsblumen 12 oder mehr große aufgeblühte Blüten abgepflückt, mit Gras und Stiefmütterchen zusammen gelegt und ihr gebracht. Ich dachte sie würde sich darüber freuen, aber da hatte ich mich gründlich verkalkuliert. Ich hatte von ihrem “ganzen Stolz “ einfach die Blüten gekappt. Das hat sie mir wohl nie verziehen. Es flossen Tränen, und nach tüchtiger Schimpfe durfte ich eine Zeit lang nicht mehr alleine in den Garten. Familienfeste und Geburtstagsfeiern, auch Weihnachten und Ostern gingen wir zum Linsenberg zu Tante Marta, Frau Schrader und Renate. Man besuchte sich damals oft, wohl auch weil der Tisch immer relativ gut gedeckt war. An einem Weihnachtfest, ich war 5 oder 6 Jahre bekam ich, nachdem ich unter dem Tannenbaum mit Knicks und Verbeugung ein langes Gedicht vorgetragen hatte, (Mein Vater hatte es mir gelernt und ich kann es heute noch, fand den originalen Text aber nie in einem Buch) einen Puppenwagen mit einer großen Puppe darin geschenkt. Heute würde es mir Tränen in die Augen treiben wenn ich so ein Teil bekäme, aber damals habe ich dazu gesagt,: ”Da wird der Hahn im Korb verrückt und der Hund springt aus der Pfanne, mit dem Ding soll ich auf dem Lindenring spazieren gehen.” Das hat man mir sehr übel genommen, und immer wieder vorgehalten in späteren Jahren. Ich war enttäuscht und hätte viel lieber einen kleinen einfachen Holzkarren gehabt.
Dieser Puppenwagen war ein Traum aus Tante Schraders Kinderspielzeug-Sammlung. Weißer Lack, Lederriemenfederung hoher Schiebegriff, an den Seiten geprägte Blütenranken, Lederkuppel ausgeschlagen mit weißer Seide und in den Rüschenkissen saß eine Puppendame mit Porzellankopf, Schlafaugen, echtem langen Haar, Ledergelenken, Rüschenunterwäsche, rotem Samtkleid, Lederschühchen und weißen Strümpfen. Heute ein Traum, ein Prachtexemplar, für mich damals Horrorvorstellung damit auf die Straße zu gehen und den Freundinnen zu zeigen, er war schon damals ein Nostalgiestück. Ich weiß nicht wo er geblieben ist, nach dem ich 1954 aus Naumburg von meiner Oma abgeholt wurde, aber das ist eine andere aufregende Geschichte.
Manchmal besuchten wir den Onkel und die Tante in Bad Kösen. Über die Höhen waren das ca. 7 km zu laufen am “Himmelreich” einem Sommerlokal, gab es eine Erfrischung oder man hatte etwas mitgenommen, und setzte sich irgendwo auf die Wiese, heute nennt man das Picknick. In Bad Kösen spazierte man einmal um die Saline und sah Max und Moritz beim Schaukeln zu, diese saßen auf der Solepumpe als große Figuren. Die Wohnung von Onkel Otto und Tante Else war auf der Borlachstrasse, in der Nähe war die Werkstatt von Käte Kruse. Zwei ihrer Puppenkinder saßen immer auf dem Sofa bei der Tante und ich durfte mit ihnen sehr vorsichtig spielen. Im Garten gab es verschiedene Apfelbäume auf die der Onkel sehr stolz war. Sie hießen Berlepsch, Goldparmäne oder Sternrenette und dufteten und schmeckten herrlich ( so duften heute keine Äpfel mehr) und zur rechten Zeit bekamen wir auch ein paar Äpfel mit auf den Heimweg. Zurück ging es mit dem Zug, vorbei an der “Glocke” einem Berg wo das Korn so angebaut war, das das Feld aus der Ferne im Sommer aussah wie eine riesige Glocke. Dann fuhr man mit der Ringbahn ( Bimmel) bis zum Salztor bzw. “ Schwarzen Ross” und kam todmüde zu Hause an.
Ein Bruder meines Vaters “Onkel Hermann” und seine Frau “Tante Mila” wohnten auf der Eckardstr. 14. Im Garten hinter ihrem Haus stand auch ein großer alter Kirschbaum welcher die herrlichsten Früchte trug. Zur rechten Zeit wohl (Kirschfestzeit) bekam ich auch ein kleines Körbchen voll, aber sonst kann ich mich an die beiden nicht recht erinnern. Eher an die Kirmes/Rummel die zur Kirschfestzeit auf der “Vogelwiese “ aufgebaut war. Das war immer ein ganz besonderes Vergnügen. Einmal Ketten-Karussell und ein paar Lose an der Losbude spendierte der Vater. Mit meinem Bruder zusammen schafften wir den Schiff-Schaukel-Überschlag - unvorstellbare Sicherheitsmaßnahmen - nur am Handgelenk einen Lederriemen. und dann über Kopf rund und rund, hinterher war man total duselig im Kopf. Dann gab es noch den Affenkäfig in welchem man stehend mit eigener Kraft den Käfig über seine Achse schwingen musste. Einmal habe ich einen hässlichen Plüschaffen gewonnen. An dessen Armen und Beinen waren Fäden, so eine Art Marionette mit dem ich nichts anfangen konnte. Ich habe ihn noch nicht mal mit nachhause genommen. Aber irgendwie wollte ich immer etwas gewinnen.
Auch in Berlin-Falkensee, Seepromenade 47 war ich einmal.(1948/49) zu Besuch bei der Tante Marie einer Schwester meines Vaters.
Wir fuhren mit dem Zug vom Naumburger Bahnhof und das war immer ein großes Erlebnis für mich, am Bahnsteig zu stehen und auf das schwarze Ungetüm zu warten, auch auf das Ratter die ratter die ratter das monotone Geräusch der Räder des Zuges, freute ich mich. Tante Marie war verheiratet mit einem Willi Hadert, welcher wohl beim Rundfunk was zu sagen hatte, so wurde erzählt. Ich habe noch eine alte Schellack-Schallplatte auf welcher er “In diesen heiĺgen Hallen “ singt. (Na ja keine HIFI Aufnahme aber Nostalgie). Mit der Tante Marta und dem Onkel Otto aus Bad Kösen war ich dort. Tante Marie und der Onkel wohnten dort gegenüber dem Strandbad Falkensee wo ich das schwimmen übte. Ob ich es in der Zeit gelernt habe, weiß ich nicht mehr. Was mir aber in Erinnerung ist, das wir dort mit mehreren Leuten ( wohl Nachbarn) auf geheimnisvollen Wegen irgendwie in den Westsektor geschleust wurden, eine direkte Grenze war da noch nicht. (für mich waren das so genannte West-Ausflüge) und ich bekam wohl die ersten Bananen zu essen, aber am Abend waren wir immer wieder zurück in Falkensee im Haus von Tante Marie und Onkel Willi Hadert.
Zurück ins Jahr 1944, im Ruhrgebiet war schon viel zerbombt, auch das Zechenhaus in Oberhausen in welchem meine Großeltern mit ihren nicht mehr so kleinen Kindern lebten. Der jüngste Bruder meiner Mutter (“Engelbert “damals 9 Jahre) wurde wegen der Bombardierungen im Ruhrgebiet nach Naumburg geschickt bzw. gebracht und kam zur Familie Rößler, Topfmarkt 11.
Man glaubte Naumburg würde von Bomben verschont.
Als auch noch 1944 die Frau aus der 1. Ehe meines Vaters verstarb, bei welcher deren beider Sohn Wolfgang bis dahin lebte, kam dieser “Wolfgang” als 11jähriger nun auch noch zur Familie Rößler Topfmarkt 11, nun war das Chaos in der 2 Zimmer Wohnung perfekt. Plötzlich waren für meine Mutter 3 Kinder zu versorgen. Über den Einfluss großer Weltgeschichte und die familiären Glücks- und Unglücksgeschichten gäbe es noch viele Geschichten zu schreiben.
Eine Schwester meiner Mutter “ Tante Berti “war in Nienburg oder auch Quedlinburg als Funkerin bei der Wehrmacht eingesetzt, sie setzte sich irgendwann von ihrer Einsatzstelle ab ( wie auch immer weiß ich nicht) und wohnte auch noch zeitweise bei uns.
Sie bediente dann wohl auch mit in der Weinstube als sie bei uns war, und half meiner Mutter in der Zeit bevor und nachdem ich geboren wurde. Sie fuhr mit einem der letzten amerikanischen Truppen-Transport-LKẂs , die Naumburg verließen, wieder gen Westen nach Hause.
So war in der kleinen 2 Zimmer Wohnung im Hinterhaus 1. Etage Topfmarkt 11, oft viel Betrieb. Aber irgendwie ging Alles, und große und kleinere Aufregungen belebten den grauen Alltag.
Selbst ein Aquarium meines Bruders Wolfgang hatte in der kleinen Wohnung oder auf dem Flur, noch irgendwo Platz, aber als die Guppís und Schleierschwänze kurz vorm einfrieren standen ( das muss wohl im Winter 1947 gewesen sein), stellte man das Aquarium in die Nähe des bullernden Herdes, irgendwann gab es einen Knall und die Fischchen schwammen und verendeten auf dem Fußboden . Ein weiteres Ärgernis bereitete die Mäusezucht meines Bruders, meiner Mutter. Als die Tierchen sich stark vermehrt hatten, hieß es für meine Mutter entweder die Mäuse kommen raus, oder ich gehe. Sie siegte und die Mäuse wurden an die Freunde von Wolfgang verteilt.
Einer seiner Freunde wohnte in der Jüdengasse und hieß Klaus Böttcher. Auch die Wäscherolle bzw. Kaltmangel war dort. Wenn ich mit meiner Mutter dorthin ging mit einem Korb voll Wäsche, hatte ich immer einen “Heidenrespekt“ vor dem großen polternden Ungetüm. Wenn der Motor auch noch Krach machte und die Rollen, in welche die Wäsche zwischen Tücher eingelegt wurde, sich hin und zurück bewegten, durfte ich mich nicht von meinem Platz in der Ecke wegrühren. ( Kindern war der Zutritt sowieso verboten)
Hinter unserer 2 Zimmerwohnung, hatten die Rechtanwälte“ Patschke“ und “Weimar” welche im Vorderhaus in der 1. Etage ihre Kanzleien hatten, noch ein Aktenzimmer. Dort wurde mein großer Bruder Wolfgang einquartiert. Ich erinnere mich, dass man eines Tages durch die Zimmerdecke in den Himmel sehen konnte. (Oder weil immer wieder davon gesprochen wurde, glaube ich es gesehen zu haben.)
Da wo Wolfgangs Bett stand, lag ein großer Berg Schutt, und die gelagerten Akten flogen überall im Zimmer rum, von unserer Küche fehlte auch ein Stück Wand und der Herd auf welchem gerade noch ein Topf mit Essen stand, hing schief unter dem Schutt. Eine Luftmiene hatte auch unsere Wohnung getroffen. Es muss wohl eine aus der Serie gewesen sein, als auch die Sparkasse und die Druckerei “Sieling?”, wo das so genannte “Blättchen” gedruckt wurde, an der Ecke Topfmarkt/Gutenbergstr. getroffen wurden. Wir waren im Keller, und der Eingang war total verschüttet. Durch ein kleines Kellerfenster schob man Wolfgang ( er war der Kleinste und Schmalste gerade 12 Jahre) nach draußen und er buddelte allein den Zugang zum Keller, welcher in der Toreinfahrt Topfmarkt 11 war, mühsam frei, damit die Leute raus konnten. Er machte das große Tor nach draußen auf und versuchte Hilfe zu holen, aber da fand er auch nur das große Chaos.
Aus dieser Zeit gibt es so viele kleine Geschichten die auch später oft erzählt wurden, die aber auch immer etwas anders klangen. Zum Beispiel musste ein Heer Zinnsoldaten aus Tante Schraders Schatztruhe den Weg der Schmelze gehen. Man konnte mit diesem Heer komplette Schlachten aufstellen, mit Kanonen und Pferden.́( Ich glaube dieses Heer wurde mit jedem Erzählen ein Stück größer und herrlicher). Wolfgang bestückte später leere Konservendosen mit dem kleinen Völkchen und verwandelte es über einem Essbitbrenner in Lötzinnstangen, welche beim Klempner eingetauscht wurden, gegen was weiß ich. Er kam auch oft mit einem Rucksack voll Kohlen nach Hause, abgefüllt von Güterzügen. Als das Heereszeugamt bombardiert wurde schleppte er was er tragen konnte an. Vermeintliches Schmalz in Dosen war leider nur weiße Farbe, aber auch diese wurde gegen was “Essbares “eingetauscht. Mein Bruder war überall dabei, was verboten war. Mehrmals wurde er auch verletzt weil er mit explosiven, chemischen Materialien experimentiert hatte, ( Knallfrösche gebastelt) oder versucht hat gefundene nicht explodierte Patronen oder Granaten zu öffnen.
Aber ich denke auch, diese Zeit und die Not schuf ihre eigenen Gesetze.
Später ging er in die Elektriker Lehre Ecke Wenzelstr./Wenzelgasse bzw. beim Comunalen Wirtschaftunternehmen der Stadt Naumburg unter Direktor Seja, das war 1948.
Mein Vater wurde 1944 im Sept. noch zum Kriegsdienst einberufen, er war damals 44 J. ( als Drucker war er in der Zeit auch mit Aufträgen fürs Militär beschäftigt und irgendwie vorher nicht entbehrlich), er geriet aber bald schon in amerikanische Gefangenschaft, und kehrte ende 1945 aus München/Riem per Lastwagen nach Naumburg zur Familie zurück. Er kam völlig zerlumpt und verdreckt an, seine Sachen wurden sofort verbrannt und heizten einen großen Waschkessel mit Wasser auf. Man stellte eine Wanne in den Flur, irgendwoher wurde ein Stück Kernseife geholt und der Heimkehrer wurde gründlich gebadet. Er war so dünn und ausgezehrt, dass seine alten Sachen von früher nur so an ihm herumschlackerten. Die Schneiderin, Frau Napieralla, ich glaube sie wohnte auf der Fischstr. musste ihm erst mal einige Sachen zurecht schneidern. Sie hatte auch schon das Brautkleid meiner Mutter geschneidert und auch für mich nähte sie Sachen aus Stoffen welche Tante Marta bei “Weidner” aussuchte. Damals war ein schöner bunter Stoff ein feines Geschenk. Mein Vater selber hat später aus dieser Zeit nur sehr wenig erzählt.
Ich ging in den Kindergarten an der Stadtmauer. Zum Sommer- oder auch Abschlussfest führten wir für die Eltern die Geschichten vom “Goldtöchterchen” auf. Ich durfte das “Goldtöchterchen “sein.
In der Nähe vom Kindergarten hatte auch ein Imker seine Bienenzucht und ab und an brachte er ein Glas von der süßen Leckerei und alle Kinder bekamen ein Löffelchen voll zu schlecken, zum Trost weil auch schon mal ein Kind von seinen Bienen gestochen wurde. Wir Kinder hatten auch damals schon ein kleines Beet im KINDERGARTEN an der Mauer, welches wir selber pflegen und gießen durften. Wir hatten Bauernblumen/Ringelblumen gesät und beobachteten wie aus diesen kleinen Würmchensamen wunderschöne Blumen wurden. Diese Arbeiten machen mir auch heute noch Freude, säen, pflanzen, gießen im kleinen Rahmen im Glashaus, auf dem Balkon und im Garten.
Meine Schulzeit in Naumburg begann 1950 in der Salztor bzw. Michaelis-Schule auf der Schulstrasse und sie endete (vorerst )Anfang 1954 in der Georgenschule. Ein Zeugnis bekam ich nicht, weil meine Oma mich einfach so mitgenommen hat ohne Schulabmeldung, und die Zeugnishefte blieben damals in der Schule. Jedoch existiert ein Einzel-Exemplar vom 20. Juni 1953 unterzeichnet vom Schulleiter Wendt und Klassenleiter Kortenhaus. Davon etwas später in meiner Geschichte mehr.
Ein beliebter Spielplatz war die “Sandkuhle “ oder hieß der Platz “Lehmkuhle“? Obwohl die Eltern es verboten hatten dort zu spielen, weil dort angeblich Zigeuner lebten, und die Kinder mitnahmen. Jedenfalls zogen wir (oder Wolfgang nahm mich mit) immer wieder mit einer Gruppe Kinder dorthin und spielten abenteuerlich, “Schnitzeljagd” oder “Räuber und Gendarm”. Auch ein herrlich bunt lackierter, großer Ball welchen mir die Oma aus Oberhausen schickte, kam dort beim Fußballspiel zum Einsatz. Das hat er nicht lange überstanden und war kurz darauf nur noch ein kleiner Matschball. Einmal bin ich dort von einem Dach gesprungen wohl ein Schuppen oder Garage, es war so eine Art Mutprobe. Mut hatte ich genug, aber für mich war es wohl zu hoch, denn wie ich nach Hause gekommen bin wusste ich nicht mehr. Nachdem ich gesprungen war bekam ich keine Luft mehr und alles war schwarz um mich herum. Ein paar Tage musste ich im Bett liegen, dann ging es mir wieder gut. Danach habe ich immer erst gut überlegt, ob man irgendwo runterspringen kann.
Im Winter zog ich mit meinem Bruder mit dem Schlitten zum Bürgergarten und der “Kirschberg” war eine herrliche Rodelbahn. Ich glaube einen Winter ohne Schnee gab es damals überhaupt nicht. Tante Berti organisierte damals auch irgendwo her 2 Paar Ski. Die waren zwar weiß angestrichen aber erfüllten hauptsächlich für Wolfgang ihren Zweck. Mit den kleineren habe ich es auch mal versucht rum zu rutschen, aber meine kleinen Schuhe passten überhaupt nicht in die Bindung.
Am “Posttöchterheim” habe ich einmal eine feine, neue, blaue Trachten-Strickjacke beim Spielen im Buchholzgraben liegen lassen. Die Oma hatte sie mir damals zusammen mit dem Ball geschickt. Nachdem ich es gemerkt hatte sind wir gleich zurück gegangen, und das war ein ganz schön langer Weg, aber das gute Stück war nicht mehr da.
Die Wenzelskirche war unsere Kletterwand, sowie auch das umlaufende Sims am Dom. Wir Kinder beherrschten es ganz gut über ganze Stücke dran entlang zu kraxeln, man durfte sich nur erwischen lassen.
Beim Türmer in der Wenzelskirche machten wir auch hin und wieder einen Besuch. Wolfgang kannte sich rund um die Kirche gut aus. Im kleinen Turm rechts vom Portal, belauschten wir auch manchmal die dort wohnenden Käuzchen, aber ich erinnere mich mit etwas gruseln an die doch morschen und lückenhaften Holzböden, Balken und Treppen darin.
Sonntagmorgens ging mein Vater regelmäßig zum “ Frühschoppen “ins “Lämmerschwänzchen” auf dem Lindenring, manchmal schickte die Mutter Wolfgang um auszurichten, das das Mittagessen fertig wäre. Dann hatte der Vater aber den “vorzüglichen Schweinebraten” dort schon gegessen, aber das durfte Wolfgang auf keinen Fall zu Hause sagen und der Vater verputzte auch zu Hause noch mal seine Sonntagsportion. Seit 2007 ist das “Lämmerschwänzchen” unwiederbringliche Geschichte, es wurde abgerissen. Der Vater hat dort mit seinen Freunden und um die Ecke im “Deutschen Haus “ auf dem Reußenplatz, so manches Bierchen getrunken. Wenn wir zu Hause Gäste hatten, wurde Wolfgang mit einem großen Bierseidel ( 3l ) geschickt um Bier zu holen. ( Da hatte man noch keinen Kasten mit Flaschenbier zu Hause).
Es muss so ca. 1950/51 gewesen sein , wir wohnten schon auf dem Lindenring, als in einer Nacht der Dachstuhl des Hauses Lindenring / Ecke Reußenplatz gegenüber der Bäckerei, in hellen Flammen stand. Viele Menschen, auch wir, beobachteten wie die Feuerwehr den Brand löschte. Ich weiß noch wie ich vor Aufregung schlottrige Beine hatte, so hohe Flammen hatte ich noch nie gesehen, und man hatte Angst, dass das Feuer auf andere Häuser überspringen konnte.
Auf dem Hof Lindenring 6, lernte ich Fahrrad fahren mit einem Herrenrad. Als kleine Göre steckte ich das rechte Bein durch die Gabel und betätigte die Pedale. Da ich kaum selber an den Lenken kam war das schon ein kleines Kunststück, so immer im kleinen Kreis zu fahren. Das Fahrrad gehörte meinem Bruder und bekam auch einmal eine “Einbrennlackierung”. Mit einer brennenden Kerze wurde die gelbe Grundfarbe stellenweise eingeschwärzt. Für mich sah das damals toll aus.
Nebenan war das Bildergeschäft “Konradi” ( heute ein Trödler Laden). Außerdem erinnere ich mich an eine alte Frau die ihre Katzen immer an der Leine spazieren führte, sie wohnte “Reußenplatz” und ein kleines Fenster von ihr ließ sie auf unseren Hof sehen. Wir Kinder riefen immer “Katzenminna” hinter ihr her. Das war frech und ungezogen. Damals gab es auch schon so genannte “Schrauber” Herr Mittwoch hatte auf dem Hof einen Schuppen in welchem sein Motorrad stand. In jeder freien Minute schraubte er an diesem Teil rum und Wolfgang war begeisterter “Mitschrauber”. Als das Ding dann doch einmal fuhr setzte es mein Bruder mit elegantem Schwung gegen das Hoftor. Weil er nicht wusste wie man bremsen musste. Mann und Maschine waren hübsch lediert.
Im Sommer 1953 besuchten wir meine Großeltern in Oberhausen “im Westen” ( und das Elend nahm seinen Lauf ) . Wieder zurück in Naumburg erzählte mein Vater im Betrieb, er arbeitete damals in der Druckerei “Tribüne” davon, was man “DRÜBEN” schon alles kaufen konnte und dass es dort wirtschaftlich wunderbar bergauf ging, dass die Schaufenster voll Ware lägen, dass es Apfelsinen, Bananen und vieles zu kaufen gäbe, eben vom “Goldenen Westen”. Darauf hin legten ihm Freunde nahe, schnellstens die DDR zu verlassen weil er wegen Volksverhetzung und aufrührerischer Reden verhaftet werden sollte. Er verschwand daraufhin auch (für mich plötzlich) aus Naumburg. Wir wohnten damals schon länger auf dem Lindenring Nr. 6 und meine Mutter führte die Konsum Fleischerei in dem Haus.
Hier bekamen wir eine Wohnung hinter dem Laden. Wolfgang bekam ein Zimmer im Hinterhaus, über den Hof rechts oben. Da war es im Winter allerdings ungemütlich kalt weil man das Zimmer nicht heizen konnte. Dort lagerte auch der Vorrat über den Winter, an Äpfeln die fein säuberlich in Stiegen übereinander gestapelt wurden . Der Vater kontrollierte die Äpfel auch ständig auf Fäulnis-Schäden, dann gab es Kompott aus den angeschlagenen Früchten. Auf jeden Fall hatten wir immer herrlich schmeckende Äpfel im Hause.
Irgendwann wurde dieser Fleischerladen geschlossen und meine Mutter führte eine HO Fleischerei auf der Wenzelstr. Nachdem sie auch in der HO Fleischerei am Georgentor und auch, HO Ecke Herrenstrasse und Lindenring, eingesetzt war.
Ich weiß noch genau wie ich dort (Wenzelstr.) nach der Schule, im Hinterraum die damals noch benötigten Lebensmittel- bzw. Fleischmarken auf Zeitungsblätter mit Pellkartoffeln aufkleben durfte, um die Marken besser zählen zu können.
Nachdem nun mein Vater spurlos verschwunden war, und meine Mutter keine Auskunft über seinen Aufenthaltsort geben konnte ( oder wollte), wurde in der Fleischerei eine Spontan-Inventur durchgeführt und meine Mutter unverzüglich wegen Unterschlagung verhaftet, weil unvorstellbare Mengen an Fleisch angeblich fehlten. Von der Stelle fort, ab ins Gefängnis nach Weißenfels. Niemand fragte danach was aus mir wurde. Ich stand so, mit 9 Jahren ganz allein da. Nachbarn, eine Familie Mittwoch sie wohnten auch Lindenring 6, nahmen mich auf.
Mal musste ich eine Zeit zur Tante Schrader nach der Schule, mal zu den Eltern der Frau Mittwoch irgendwo Nähe Buchholz,( die hatten einen kleinen Bauernhof), mal war ich bei Freunden der Eltern Familie “Neubert “auf der Sixtus-Braun- Str. einer lieben freundliche Familie untergebracht.
Ich glaube “Hugo Neubert “war ein Sportfreund von meinem Vater seit deren Jugendzeit. Ich weiß es aber nicht genau ob er auch auf diesem Foto ist.
Wir hatten auf jeden Fall guten Kontakt mit Familie Neubert. Ich schlief auch ab und zu dort wenn unsere Eltern aus gingen. Leider riss der Kontakt zu Neubert́s vor ca. 30 Jahren ab . (Die Tochter “Irene” verheiratete “Kranz” war beim Standesamt der Stadt Naumburg beschäftigt ).
Oder ich war alleine in der Wohnung Lindenring. Mit einem Schlüssel um den Hals, von dem auch niemand etwas wissen durfte. So flog ich eine ganze Zeit hin und her, von einer Familie zur anderen und wusste nicht wie mir geschah. Heute habe ich keine genauen und schon gar keine guten Erinnerungen an diese Naumburger Zeit.
Familie Paul und Lieschen Mittwoch ( inzwischen auch verstorben) informierte irgendwie die Verwandtschaft und organisierten unter anderem, dass meine Oma aus Oberhausen kam und mich im Januar/Februar 1954 ganz offiziell mitnahm nach Oberhausen, (wo mein Vater schon war, aber das durfte ja keiner wissen). Es dauerte dann noch bis zum 1. Mai 1954 dass meine Mutter plötzlich in Oberhausen vor der Tür stand, wo mein Vater und ich froh und glücklich waren sie wieder zu haben. Die Familie war wieder vereint.
Nach Einschaltung der Anwälte, die eine erneute Durchrechnung der Inventur erzwungen hatten, musste man meine Mutter aus der Haft entlassen. Angeblich hatte man vergessen, die Lebensmittelmarken welche auf Zeitungen aufgeklebt waren und im Hinterzimmer des Ladens aufbewahrt wurden, bei der 1. Inventur mit zu zählen bzw. abzuziehen. Nun stimmte der Warenbestand wieder und man konnte ihr keinerlei Vorwürfe machen. Eine Entschädigung oder Entschuldigung der HO Zentrale für Fehlentscheidung oder Verleumdung wegen angeblicher Unterschlagung, hat es auch nie gegeben. Na ja, meine Mutter war ja auch nicht mehr zu erreichen. Sie fuhr sofort nach ihrer Entlassung ( ein Anwalt holte sie in Weißenfels ab) nach Berlin und flog während der 1. Mai-Kundgebungen von Tempelhof nach Düsseldorf . Nachbarn, Freunde und Verwandte hatten in Naumburg alles schon irgendwie organisiert, auch den Anwalt “ Weimar“. Man packte viele Pakete mit unseren Sachen aus der Wohnung und schickte diese, (bevor die Wohnung staatlich versiegelt wurde) von den verschiedensten Orten und unter den verschiedensten Absender-Angaben an die Adresse meiner Oma. So sind einige, relativ wenige, Sachen aus dieser Zeit in Naumburg noch heute in unserem Besitz. Natürlich blieb das meiste unseres Hausrates, viele Bücher, die Möbel, Wäsche, Kleidung und so manches dekorative Stück, in der Wohnung Lindenring, auch mein Puppenwagen und eine Menge Erinnerungen an Naumburg.
Mein großer Bruder war zu der Zeit bei der Volkspolizei - irgendwo - und hat von alledem nichts mitbekommen. Erst etliche Jahre später bekamen wir wieder Kontakt zu ihm.
Mein Vater verstarb 1974 und hat immer daran geglaubt, dass Deutschland wieder vereint würde. 1972 fuhr er noch mit einer organisierten “Leipziger-Messe-Bus-Fahrt“ von Oberhausen nach Leipzig. Eigentlich durfte man nur die Messe in Leipzig besuchen, aber man traf sich zu Hause beim Sohn Wolfgang in Leipzig, der inzwischen verheirat war. Mein Bruder fuhr damals auch unerlaubter Weise (er war zu der Zeit Taxifahrer in Leipzig) mit dem Vater eine Runde nach und durch Naumburg ohne auszusteigen. Die Angst, das bestehende Verbot - die vorgegebene Strecke zur Messe - Leipzig zu verlassen- und in Schwierigkeiten zu kommen war zu groß.
Damals 1972 war mein Vater erschüttert und sehr ergriffen, wie verfallen Naumburg, und nicht nur Naumburg sondern die ganze Region war. Sicher wäre er sehr erfreut, wenn er Naumburg heute noch einmal sehen könnte. So schön wie heute war “Naumburg “ wahrscheinlich auch in der guten alten Zeit seiner Jugend nicht. Er wäre jetzt 107 Jahre.
Meine Mutter ist 91 Jahre kann aber leider nicht mehr gut sehen, jedoch haben wir vor, in diesem Jahr mit ihr, Naumburg noch mal zu besuchen. Vielleicht ist dann Topfmarkt 11 auch wieder hergerichtet und keine Baustelle mehr. Oder das Nachbarhaus von Juwelier Reismann, die Tochter Christel Reismann war meine Spielfreundin und wir haben uns gegenseitig die Zöpfchen abgeschnitten, woraufhin es entsetzlichen Ärger mit den Eltern gab. Auch würde ich gerne mal ein Orgelkonzert in der Wenzels-Kirche (meiner Taufkirche) besuchen, im Bürgergarten spazieren gehen, oder im Blütengrund, an der Saale sitzen.
Ich habe noch genug Gründe auch in diesem Jahr Naumburg zu besuchen.
Über eine ganz besondere Erinnerung an Naumburg muss ich noch berichten.
Es war im Jahr 1982. Der pure Zufall führte uns auf einen winzig kleinen Caravan- mehr Abstell- als Campingplatz am Plattensee in Ungarn. Auf einem Wohnwagen, nur ein paar Meter von Unserem entfernt, prangte ein großes Bild vom “Naumburger Dom”. Da wurde man ja neugierig. Wir sahen uns das KFZ-Schild an und stellten fest das diese Camper wirklich aus Naumburg kamen. Wir sprachen sie an und sie stellten sich mit “Rößler” vor. Meine Gedanken überschlugen sich.
Nachdem wir dann Ahnenforschung betrieben hatten, stellte sich heraus dass mein Vater und Gerrit Rößlers Vater, Cousins waren, somit unsere Großväter Brüder waren. Nun wohnten Gerrit und Monika und ihre beiden Kinder in Naumburg, Hallesche Str. 5. Wären die Campingplatz-Verhältnisse nicht so miserabel gewesen, hätten wir damals sicher ein paar nette Urlaubstage verbracht. Aber ich wollte dort nur weg, egal wohin. Wir schliefen eine Nacht dort und fuhren am nächsten Morgen gleich wieder ab. Seitdem schreiben wir uns hin und wieder. Inzwischen sind sie, nach dem Fall der Grenze in die Nähe von Würzburg gezogen und der Sohn André hat das Haus in Naumburg übernommen.
Noch einen Rat, den auch ich nur übernommen habe, zum guten Schluss -
“Ihr Lieben, sorgt solang ihr Jung, an Vorrat an Erinnerung
wir leben länger als wir dachten vom Früher einmal - Eingemachten”.