Und jetzt saß er blinzelnd im Sonnenlicht, zu Füßen dieses wunderbaren Bauwerkes, welches er seit seiner Studienzeit besichtigen wollte. Seine Kameraden, ebenso wie er zum Tode verurteilte Kriegsgefangene, hatten sich während der langen Monate der Haft einander angeschlossen. Sie verstanden sich, ohne viel zu sprechen. Jeder genoss die ersten Stunden der lange ersehnten Freiheit auf seine Weise. Collins, der wortkarge Bergmann aus Wales, rauchte mit Behagen die ersten "Cameis". Mc Croy, der ewig hungrige Seemann aus Irland, öffnete mit dem Klappmesser die Corned-beef-Konserven und Sergeant Twyman, der die kleine Gruppe nach Erfurt führen sollte, verteilte umsichtig harte Biscuits.
Die Franzosen zerstreuten sich in die umliegenden Häuser, um Wasser in ihre Feldflaschen zu füllen. Nur Rene, der immer lustige Kellner aus Bordeaux, hatte sich entfernt, um in irgendeinem Wirtshaus eine Flasche Wein aufzutreiben. "Die Fritzen müssen doch im Keller etwas aufgespart haben für den Sieg. Pour notre victoire natur-ellement", für unseren Sieg natürlich, hatte er schelmisch hinzugefügt. Ewald konnte in dieser Stunde keine Fröhlichkeit aufbringen. Zu lang und zu schwer war für ihn der Weg bis hierher gewesen. Aus dem hunderttürmigen Prag nach der Besetzung geflohen, war er über Asien und Afrika nach Frankreich zu seiner Armee gestoßen und an der Front mit seiner Kompanie in deutsche Gefangenschaft gefallen. Nach fünf harten Jahren hinter Stacheldraht und den letzten düsteren Monaten auf der Festung Torgau rastete er nun friedlich vor den Toren dieser altehrwürdigen Kirche, die ihn wehmütig an so manches Bauwerk seiner böhmischen Heimat erinnerte. Sein Freund Pierre Zollinger, der junge Architekt aus Straßburg, legte den Arm um ihn. Er verstand ihn ohne Worte. Zu viele schlaflose Nächste hindurch hatten sie sich ihre Schicksale erzählt. "Komm, Ewald, keine Rührung aufkommen lassen", sagte er, "jetzt wollen* wir uns als freie Menschen erst mal den Dom ansehen." Ewald sprang auf, seine Müdigkeit war wie weggeflogen. Die beiden Kameraden Umschriften die Kirche, die wie in tiefem Schlafe lag. Sie durchwanderten mehrere Male den schönen, alten Kreuzgang und rüttelten vergeblich an den verschlossenen Eichentüren. Der Dom lag da wie eine uneinnehmbare Festung. "Mensch, hier muss doch irgendwo ein Küster wohnen!", rief der praktische Elsässer und zog Ewald zu einem schräg gegenüber liegenden Hause, das etwas von der breiten Festigkeit des Domes abbekommen hafte. Sie läuteten.
Ein älterer Mann, dem man nicht die Not eines verlorenen Krieges anmerkte, öffnete den beiden mageren Gestalten, die ihren Ohren nicht trauten, als er sie geradezu ungehalten fragte, was sie wünschten, Kriegsgefangenen sei doch der Eintritt in den Dom nicht gestattet. Barsch erwiderte Ewald: "Es hat sich was verändert in Deutschland. Nehmen Sie die Schlüssel und sperren Sie uns den Dom auf. Wir werden schon nichts wegtragen." Verlegen, sich seiner Würde erinnernd, murmelte der beamtete Hüter etwas von "jahrelanger Gewohnheit" und fragte dann etwas sächselnd, ob sie denn eine Genehmigung von der Domverwaltung hätten. Da mischte sich Pierre in den Disput und klopfte unmissverständlich auf seine Pistolentasche, die er seit ihrer Befreiung als billiges Beutegut an der Seite trug.
Diese Sprache verstand der Brave. Er machte den Ansatz zu einer Verbeugung, nahm achselzuckend einen Schlüsselbund vom Nagel und schritt den beiden voran. Ewald lächelte in sich hinein. Zum ersten Mal hatten sie ihre Waffen benutzt, wenn auch nur, um einen deutschen Dom zu besichtigen!