wurden, änderte sich diese Haltung, und die aktive Teilnahme wurde für uns Schüler zur aufregenden Attraktivität.
Das erste Kirschfestfoto in meinem alten Kinderalbum ist mit 1955 datiert. Wir marschierten als Klasse 4b der Georgenschule ordentlich in Dreierreihen, mit schmucken Lanzen als Symbol der Hussiten, ganz begeistert inmitten des langen Kirschfestumzuges. Kurze dunkelblaue Hosen, weiße Hemden und weiße Strümpfe waren die Festkleidung. Von der Schule erhielten alle Jungen eine schöne Holzlanze mit schwarzem Stiel und einer kleinen rotweißen Naumburger Stadtfahne daran befestigt. Die Lanzen mußten mit grünem Efeu umrankt und, wenn möglich, noch mit einem Blumenstrauß an der Spitze geschmückt werden. Große Aufregung für Eltern und Schüler, das frische Efeu zu besorgen. Naturfreunde oder manche Garten- oder Hausbesitzer wußten, woher man welches beschaffen konnte.
Bevor es zum großen Festumzug kam, platzte jedoch mitten in die ganze freudige Vorbereitungsaufregung die unerwartete Nachricht hinein, daß alle Kirschfestlanzen umgehend wieder in der Schule abgeliefert werden sollten. Trotz geplantem Blumen- und Grünschmuck durften sie nicht, so wie sie waren, im Umzug gezeigt werden. Allmählich sickerte die Ursache für diese unverständliche Aktion durch. Jemand hatte ausgetüftelt, daß die Farbkombination von Schwarz am Stiel mit Weiß und Rot der Stadtfahne als Farben des dritten Reiches doch auf keinen Fall öffentlich gezeigt werden könne. So wurden alle Lanzenstiele sämtlicher teilnehmenden Schulen schleunigst auf grau umlackiert. Wir erhielten unsere Lanzen danach rechtzeitig zurück, haben nie eine offizielle Erklärung über die Aktion vernommen und haben sie kopfschüttelnd und schmunzelnd, aber wunderschön geschmückt, im Kirschfestumzug präsentiert.