Nachwelt zu überliefern.

Da fällt mir als erstes die Reitstunde für meinen Bruder und mich ein, und zwar im Kasernenhof des AR 14. Viel haben wir Kinder dort nicht gelernt, aber es machte einfach Spaß, die Welt von einem Pferderücken aus zu sehen! Es war kurz vor des Hitler-Regime – dann wurde plötzlich alles anders!!! 1944 war ich in der Kolonialen Frauenschule in Rendsburg – auch da stand Reiten auf dem Lehrplan – nur waren die Pferde zum Kriegsdienst eingezogen. Auch Auto fahren stand auf des Lehrplan, aber es gab kein Benzin mehr!
[Kindheit]

Nun aber zurück nach Naumburg, in unser schönes Haus in der Oscar-Wilde Str. Meine Schuhe standen morgens frisch geputzt auf der Treppe – frische Brötchen hingen schon an der Tür. Wir hatten eine Eismaschine: da kam Roheis hinein, dann die nötigen Zutaten, dann mußte man per Hand tüchtig drehen! Butter kam im Paket aus Holstein, Eier aus einer großen Hühnerfarm von glücklichen Hühnern... u.a.m.

Natürlich gab es auch Bettler, sie wurden mit einem Teller guter Suppe versorgt. Im Sommer kam oft ein Mann mit einem Wagen durch die Straßen, laut rufend; "Hedelbeeren, frische Hedelbeeren!" Dieselben hatte er im Thüringer Wald geerntet. Wir kauften sie natürlich gern. Inzwischen weiß ich aus eigener Erfahrung, wie mühsam die Heidelbeer-Ernte ist.

Diese, wie ein Märchen klingende Geschichte war ein Kinderparadies, aber natürlich nicht von Dauer. Schon 1934 mußten wir das Haus verkaufen, da alle jüdischen Mandanten wegfielen. So kam man bald in Not. Dennoch bekam ich mein erstes Fahrrad für 79,- Mark von Fahrradhändler Körner am Steinweg! Mein heutiges Fahrrad – nunwohl das letzte – hat 400,- Euro gekostet! Nun frage ich meine Leser: Leben wir in einer Fortschrittswelt oder sagt man dazu Inflation!?

Unser Nachbar hatte das erste Auto in der Straße (ich glaube, es war ein BMWuppdich!). Das war die Sensation und erweckte Aufmerksamkeit von allen!!
[Jugend]

Erwähnenswert ist noch der Dienst bei den JM (Jungmädel) und im BDM (Bund deutscher Mädchen). Samstag, war Reichsjugendtag : ohne Schule, aber Dienst in Uniform: blauer Rock, weiße Bluse, schwarzes Dreiecktuch mit Lederknoten. Ich, da ich Geige spielte, gehörte zur Musikschar; und das war mir natürlich recht, so konnte ich den ganzen Vormittag in einem kleinen Orchester mitspielen und nach Herzenslust musizieren!

Dann kam meine Konfirmation am 2. April 1939 (Palmarum). Am 1. April 39 mußte mein einziger Bruder beim Arbeitsdienst antreten. Tücke des Schicksals! Der Reichsarbeitsdienst war – nachträglich gesehen – eine gute Sache (wenn er nicht politisch ausgenutzt wäre!) und verdiente Nachahmung!

In Naumburg war es Sitte, dass die Konfirmationshäuser ein kleines Buchsbaumsträußchen angebracht hatten – und an dem großen Festtag holten wir einander ab, um gemeinsam zur Kirche zu gehen. In dem ehrwürdigen, festlich geschmückten Dom habe ich es dann gelobt und bekam den Spruch:

"Herr, du weißt, alle Dinge,
du weißt, dass ich dich lieb habe"

Damit will ich für heute schließen und habe der Nachwelt wiederum einen kleinen Einblick geben können, was man damals erleben konnte, durfte und mußte.

In der Anlage ein paar Fotos, die vielleicht für manche interessant sein können?