Dort verbrachte ich die schönste und behüteste Zeit meines Daseins. Und eben diese Zeit strahlt hinüber bis ins hohe Alter und ist mir unglaublich wertvoll!!
Es war übrigens die Zeit der Gaslaternen - wer kann sich daran noch erinnern? Ein Mann mit einer langen Stange ging abends durch die Straßen und zündete die Lampen an!
Wir hatten einen hübschen Garten mit Birnbaum, Rasen und Rosenbeet, Johannisbeeren und Aprikosen. Zeitweise eine Schildkröte, genannt Hexe, und ein weißes Angorakaninchen welches Wolli hieß und nach der Schur die Wolle versponnen wurde. Ich fütterte es fleißig mit Löwenzahnblättern. –
Ostern 1931 (ich wurde im Mai erst 6 Jahre) Einschulung in die Marie-Encke-Schule (Körnerstrasse).
Originellerweise bekamen wir die Zuckertüten erst dort in der Klasse, indem ein Osterhäschen mit Bollerwagen – darauf die Tüten – hereinkam und diese verteilte, = die erste große Schulfreude!!!
Schreiben und Rechnen lernten wir nicht, wie in den anderen Schulen, auf der Schiefertafel, sondern wir hatten gleich großkarierte Hefte und natürlich bunte Stifte.
Wir waren etwa 20 in der Klasse, Mädchen u. Jungs gemischt. Vor der ersten Stunde hatten wir täglich in der Aula eine Andacht. Eine Lehrerin spielte Harmonium. Die Choräle, die ich damals gelernt habe, sind mir heute noch am geläufigsten! Bei Frl. v. Sperling (Nichte von Hindenburg), sie hatte immer einen schicken, blauen Turnanzug an, bekamen wir den ersten Sportunterricht! Frl. Henning gab Religion und Frl Schröder Handarbeit – alles Damen. Der Unterricht machte mir Spaß!
Nun ging es mit der Encke-Schule nicht so harmonisch weiter: 1934 wurde die Leiterin und Gründerin, der Schule abgelöst, und eine "zeitgemäße" Direktorin, Frl. Dr. Petermann, kam ans Ruder. Einiges wurde nun anders: die schwarz-weiß-rote Fahne mußte verschwinden und eine rote mit Hakenkreuz wurde gehißt.
Aber was geschah mit der alten treuen Fahne? Könnt Ihr es erraten?! Es wurden Stoffbälle daraus genäht -schändlich!! Aber wir spielten mit denen Völkerball bis zum Umfallen!
Nun eine positive Begebenheit: eine schöne Klassenfahrt nach Weimar ins Nationaltheater. Meine erste Oper: Mozarts "Zauberflöte" – es war hinreißend und unvergeßlich!
Natürlich durften wir auch als Oberschülerin Konzerte besuchen. Für mich das Schönste war ein Cellokonzert von Enrico Meinardi; ich kam begeistert nach Hause. Meine gute Mutter, nicht faul, heute würde man sagen "clever", besuchte Herrn Meinardi am nächsten Morgen im "Schwarzen Roß", wo er abgestiegen war, und als ich aus der Schule kam, stand ein Bild mit eigenhändiger Unterschrift auf meinem Schreibtisch. Es war eine große Überraschung!
Die Jahre im Luisenlyzeum mit Französisch, Englisch, Latein, Mathe, Chemie und Physik gipfelten mit dem erstrebten Abitur 1943. Unmittelbar danach wurde ich zum RAD eingezogen und kam zunächst in ein Stadtlager nach Wurzen. Nach dem Berg fest (die Hälfte der eigentlich geplanten Zeit) kam ich in ein abgelegenes Barackenlager zu einer Luftnachrichtentruppe. Dort gab es zunächst kein Wasser – zu wenig – und es hieß: "entweder ihr könnt euch waschen oder es gibt etwas zu essen!". Letzteres haben wir vorgezogen. Dann war Dienst angesagt als Arbeitsmaid bei allen anfallenden Erntearbeiten - nebenher Soldatendienst: Gasmaskenübungen, nächtliche Appelle und Schikanen. Wir sollten dort ILO’ s (=Jägerleitoffizier) werden. Wer kennt den Slogan noch: ein jeder muß zum Arbeitsdienst, 25 Pfg ist der Reinverdienst!!
Zunächst spielte ich mit meinem einzigen Bruder (1920) und den Nachbarkindern. Auch bekamen wir bald Gymnastik-unterricht von einer freundlichen Lehrerin.
Im Winter stand im Spielzimmer ein komplett eingerichtetes Puppenhaus (aus Mutters Kindheit). Zu Großmutters Geburtstag haben wir mit Begeisterung kleine Theaterstücke einstudiert. Schließlich kamen unsere Geburtstagsfeiern – später wurde die ganze Klasse eingeladen und im Garten gefeiert und geschmaust. Die bekannten Spiele: Sackhüpfen, Topf schlagen, Blinde Kuh u.v.m.
Zu den Winterfreuden gehörte nun auch das Skilaufen auf dem "Idiotenhügel" und im Buchholz, (Vorsicht: Spitzensalat!) Die Skier wurden bald eingesammelt und an die Front geschickt!
Außerdem Schlittschuhlaufen auf den Saalewiesen. Wir waren ausgerechnet dort, als Hitlers Machtergreifung proklamiert wurde – welch ein bedeutendes Erlebnis für uns damals – nicht ahnend, welch schreckliches Ende damit verbunden war.
Der Nachmittag war dann mit den tollsten Spielen ausgefüllt, z.B. Indianerspiel im Buchholzgraben, wo wir uns gegenseitig in einem Rohbau (später von Fam. Fortlage) fesseln konnten. Natürlich gab es auch mädchenhafte Spiele, wie Puppenwäsche im Garten, Stelzen laufen und unentwegte Ballproben (mit 2 oder 3 bunten Bällen).
Unserm Haus, gegenüber war damals ein Tennisplatz (denselben gibt es nicht mehr), auf dem meine Eltern spielten - und wir Kinder durften Bälle aufsuchen!
Sonntags stand stets eine Wanderung auf dem Plan – natürlich ins schöne Unstrut- oder Saaletal. Vater ausgerüstet mit Feldstecher, wir Kinder mit schönen Botanisiertrommeln – es gab unterwegs viel zu sammeln und zu sehen. Nach solch schönem Erlebnis erreichten wir schließlich mit hängender Zunge den letzten Zug Richtung Heimat.
Dann das Schwimmen in der Saale - mit einem Bus fuhr man zu den "Fischhäusern". Dort lernte ich an der Angel, wie man sich im Wasser fortbewegt – wer kann sich das heute noch vorstellen? Das Freischwimmerzeugnis habe ich heute noch: ich mußte 15 Min. frei schwimmen können – dann kam ich aus dem Wasser mit einem schönen Dreckrand am Hals. Die Saale war ja nicht das sauberste Gewässer! aber ich profitiere heute noch und schwimme regelmäßig oft noch 1000 m .
Ich erinnere mich an den Tod Hindenburgs: Wir wurden alle in der Aula der Schule versammelt und mußten dort die Rundfunkübertragung der Tauerfeier anhören. Nun waren wir noch zu klein, um die Tragweite dieses Ereignisses ermessen zu können und plötzlich kullerten etliche Kastanien unter die Bänke, was natürlich zu einem unpassenden Kichern Anlaß gab!
In Naumburg gab es einige jüdische Familien, und ich sehe heute noch die Menschen mit dem gelben Judenstern durch die Stadt gehen. Dann kam bald die schreckliche "Kristallnacht", die Zerstörung der Geschäfte und die Vertreibung. Auch hier konnte man uns für die Folgen nicht verantwortlich machen. Wir waren noch zu klein und die Nazipropaganda zu mächtig.
Im Krieg war Erbsen pflücken und Ähren lesen angesagt, sowie in JM (Jungmädchen) Uniform Altstoffe sammeln und WHW (Winterhilfswerk) Abzeichen verkaufen.
Die BDM-Weihnachtsfeiern – nicht etwa mit Weihnachtsmann oder gar Christkind – es wurde umfunktioniert: "der Grüne" kommt, allerdings blieb der Weihnachtsbaum erhalten.
In dieser Zeit 1943 wurde mein Bruder, ehem. Domschüler, in Afrika schwer verwundet und mußte dort in einem Feldlazarett sein junges Leben lassen (23 J.)
Währenddessen zogen meine Eltern von Naumburg fort, da mein Vater in Halberstadt eine Kriegsvertretung übernahm. Seitdem habe ich in Naumburg keine Heimat mehr. —
Eine ganz wichtige Begebenheit war natürlich die Tanzstunde im Saal des Rathauses. Zum Abschlußball durften wir nicht in langen Kleidern kommen – es war ja Krieg! Regelmäßig nach der Schule gab es auf dem Marktplatz ein Treffen mit seinem Tanzstundenherrn, der uns dann nach Hause begleitete. Die Mädchen aus der Marienstr. kommend, die Jungs vom Dom natürlich aus der Herrenstraße.
Der Vater meiner Freundin G. war hoher Offizier, und somit wurde ich mit eingeladen zu einem Casino-Ball im Bürgergartenschlösschen. Das war für mich ein solches Erlebnis, dass es mir unvergessen bleibt und ich ähnliches nie wieder erleben durfte. Nur am nächsten Tag wurde die Kompanie nach Stalingrad abkommandiert – und keiner kam zurück!
Nun - der Höhepunkt der Naumburger Feste war und ist – wie ihr alle wißt – das berühmte Kirschfest. Historischer Umzug durch die Stadt, ebenso die Schulen. Die Mädchen in weißen Kleidern und in der Encke-Schule weiße Nelkenkränzchen im Haar, im Lyzeum hübsche Kornblumenkränze (Lieblingsblume der Königin Luise!) und die Jungens natürlich mit ihren Schülermützen. Es wurden Kirschen verteilt und das dazugehörige Hussitenlied gesungen. Das bunte Treiben beobachteten die Eltern vom Fenster des Bürohauses Markt 14.