kamen plötzlich Schwärme von Flugzeugen und man hörte neben dem Motorengeheul kräftiges Flackabwehrfeuer. Ich sah noch am Fenster, wie die beiden letzten Flugzeuge des Geschwaders beidrehten. Da kam auch schon meine Mutter angestürzt und riß mich zurück und sagte: Rasch in den Keller!! Kaum waren wir im Zimmer, knallte und krachte es ohrenbetäubend, dichte Staubwolken umfingen uns und Glascheiben splitterten, der ganze Raum schwankte. Wir sausen angstgetrieben los, gerade als ich im Treppenhaus angekommen bin, fällt mir splitternd das Bleiglasfenster entgegen mit Staubwolken. Auch meine Großmutter schaffte noch den Weg in den Keller, wo wir fast gleichzeitig mit anderen verängstigten Hausbewohnern zusammentreffen. Dann sitzen wir noch fast 2 Stunden im Keller, Krachen, Schießen, Geschrei. Mutter und ich saßen unter einer Türfüllung, weil da die Gefahr der herabbrechenden Decke nicht so groß sein sollte. Genau besinne ich mich noch, wie ich mich vor Angst fast in meine Mutter vergrub – nicht aus Angst, daß mir etwas zustoßen könnte, viel größere Angst hatte ich vorm Allein-Zurückbleiben- Müssen. Frau Kusian und Fräulein Roth, 2 Mitbewohnerinnen, gingen, nachdem es sich ein wenig beruhigt hatte, nach oben, um nach eventuellen Brandherden zu suchen. Sie kamen erschüttert zurück. Fräulein Brumby’s Haus ist getroffen!!! Das ist das 2 Haus in der Burgstraße, wir das 2 Haus am Marienring – also direkt unser Nachbarhaus über Eck. Ein lähmendes Entsetzen packte uns, als wir endlich nach der Entwarnung nach oben kamen. Zunächst lagen wir uns weinend in den Armen und dankten Gott, daß wir aus diesem unvergeßlich Furchtbaren lebend herausgekommen waren. Aber was für ein Anblick erwartete uns oben. Überall Scherben und Kalkstaub, doch was war das alles gegen das furchtbare Geschehen in unserer nächsten Nachbarschaft!!! 4 alte Damen tot in diesem Haus! Wie seltsam der Luftdruck bei diesen Sprengbomben wirkt, fanden die Helfer, die zuerst das Haus versuchten zu betreten – ein Eierschränkchen in der Küche war völlig unversehrt! Kurz hinterher stürzte das ganze Haus in sich zusammen und blieb ein Schutthaufen. ½ Std. vor diesem entsetzlichen Alarm bat mich Frl. Brumby noch um eine Tasche, sie wollte uns von ihrer Obsternte etwas abgeben. Die Tasche hing nun nutzlos am Zaun. Oben in der Wohnung angekommen fanden wir neben Trümmern und Scherben auch unsere beiden lieben Wellensittiche, grün und blau, tot im Bauer, der Luftdruck hatte ihre kleinen Lungen zerfetzt. Allmählich erfuhren wir auch von etlichen weiteren Schäden, vor allem die Burgstraße hatte etliche Treffer abbekommen, und ein Blindgänger lag noch in der Straße, so daß sie voll gesperrt wurde. Auch der Linsenberg und das Heereszeugamt wurden heimgesucht. Das war für uns das erste schreckliche Ereignis, dem aber noch viele weitere folgen sollten.

Damals war ich 11 Jahre alt, viel Zeit ist darüber hingegangen und Vieles hat einen tief erschüttert. – Aber selbst heute noch, wenn am Samstagmittag die 12 Uhr-Sirene wie früher ein "Voralarm" ertönt, wird mir noch immer ganz flau und die Ereignisse bleiben eingebrannt. Möge so etwas nie wiederkehren!

[Kriegstagebuch von Annemarie Reißbrodt]

1.4. Erste Nachrichten im Radio über den "Wehrwolf", eine Organisation aus Frauen und Kindern, die sich neben dem Volkssturm die Vernichtung des Feindes zur Pflicht machen sollten. – Ernste Berichte über das Vordringen der Amerikaner ins Deutsche Reich.

2.4. Weiterhin trübe Nachrichten von der Westfront. Der Feind rückt bedenklich näher – Fulda, Meiningen und Eisenach wurden heut im Wehrmachtsbericht genannt, dazu die Tag und Nacht anhaltenden Alarme. Meine Zuversicht und mein Glaube sind aber felsenfest, so daß wir den kommenden Ereignissen ruhig entgegensehen.

4.4. Früh wieder Alarm. Wir beobachteten große Geschwader Jagdflieger, für uns ging es vorerst glimpflich ab. Abends wieder heftiger Alarm, der uns bis gegen Mitternacht im Keller erzittern ließ. ½ 2 schreckte uns erneut die Sirene aus den Betten. Unter Fliegergesurre rasch Anziehen, und unter Krachen und Knallen in den Keller. Bis gegen 3 Uhr bangten wir um Sein oder Nichtsein. Helle Feuerscheine klagten die Not der armen Betroffenen an.

5.4. Früh 8 Uhr schon wieder Alarm, dazu ein Durchrasen von militärisch getarnten Fahrzeugen, seltsamerweise von Westen kommend. Die Geschäfte sind leer, große Sorge und Angst beim Publikum um die näherrückende Front, sie verläuft jetzt Mühlhausen, Gotha, Suhl, einzelne Panzerspitzen sind durch den Thüringer Wald bis nach Arnstadt vorgestoßen.

6.4. Eine große Unruhe erfaßt die Leute. Die Stadtverwaltung hat die Lebensmittel für die nächste Periode freigegeben, jeder rennt und kauft in dem Gedanken, daß es morgen schon nichts mehr gibt. Um Brot, Gemüse und Milch zu bekommen, habe ich 4 Stunden in verschiedenen Schlangen gestanden. Dieses Gehetze und Gerenne macht einen ganz kaputt, dazu noch Alarm - Entwarnung -Alarm - Entwarnung

7.4. Eisenach und Langensalza sind gefallen. Naumburg soll zur "offenen Stadt" erklärt werden – doch soll die Partei ihre Angehörigen in Sicherheit gebracht haben! Heut habe ich für 125 g Butter 2 Std. Schlange gestanden, bis erneuter Alarm uns heim trieb. So gehts den ganzen Tag. Abends wieder sehr heftiger und schwerer Alarm, über 2 Stunden im Keller. Nach der Entwarnung überflogen uns noch sehr viele Tiefflieger, so daß man nicht wußte, sind es Feindliche oder Deutsche.

8. 4. Sonntag. Früh 1/2 5 Uhr trieb uns Alarm aus den Betten, gegen 8 Uhr Entwarnung. 1/2 9 Uhr wieder Alarm ...und so fort den ganzen Tag. Es war sehr erregend. Umso mehr genossen wir die kommende ganz ruhige Nacht wie ein Gottesgeschenk.

9.4. Früh gegen 8 Uhr Alarm, gegen 10 Uhr Entwarnung. Oma ging zur Stadt. Gegen 1/2 11 Uhr wieder Alarm und gleich darauf schossen Tiefflieger mit M.G. und die ersten Bomben fielen. Wir rasten in den Keller voller Sorge um Oma. Gott Lob ging alles glimpflich vorbei und Oma kam heil heim. Am Nachmittag erneut Alarm, der uns einen schweren Angriff auf unsere Stadt brachte. Es war ganz entsetzlich! Mit nassen Tüchern vor dem Mund hockten wir im Keller, jeden Moment den Tod erwartend. Ein Splittern und Klirren und Krachen um uns herum, ein Tosen und Brausen, daß man nicht glaubte, lebend aus dieser Hölle herauszukommen. Nach der Entwarnung sah man die ganze Verwüstung. Die Marienstraße war erheblich getroffen, vor allem aber auch der alte Friedhof und einige darumliegenden Häuser. Viele Grabsteine waren durch die Luft gewirbelt, ein ziemlich großer lag in unserem Gartenzaun! Auch die Innenstadt hatte zahlreiche Treffer mit schweren Schäden hinnehmen müssen.

10. 4. Eine entsetzliche Lähmung liegt über uns allen. Nachts wagte man nicht mehr ins Bett zu gehen. Früh konnte man kaum das Nötigste erledigen, als auch schon wieder Vollalarm einsetzte. Kaum waren wir im Keller, tobte der Schrecken wieder los. Es war wieder grauenvoll! Großer Gott, erbarme Dich über uns! – Gegen Mittag kam die ersehnte Entwarnung. Diesmal hatte es mehr das Heereszeugamt und Umgebung getroffen, es sollen wieder viel Todesopfer sein. Neuer Kummer, neue Sorge, neues Herzeleid. – Nachmittags jagte ein neuer Alarm uns wieder in den Keller, nach 6 Uhr kam Entwarnung, da aber noch sehr viel Flugzeuge über uns surrten, wagte niemand den Keller zu verlassen. Plötzlich, gegen 7 Uhr kam "Feindalarm" – 5minutenlanger Dauerton. Große Aufregung bemächtigte sich unser. Panzerspitzen sollen vor der Stadt stehen. In großer Eile holten wir Bettzeug, Essen und Trinken in den Keller und machten schnell im Luftschutzraum den kleinen Ofen an und blieben die ganze Nacht unten. – Gegen 3 Uhr hörten wir erhebliches Autogerassel durch die Straßen - sind das die Panzer???

12. 4. Gegen 6 Uhr morgens kam Frau Kusian, unsere Mitbewohnerin, ganz aufgeregt und hatte irgendwo das Gerücht gehört: Naumburg solle sich verteidigen! Diesen Wahnsinn glaube ich nicht, jedoch bleiben wir weiterhin im Keller. Gegen 9 Uhr Vollalarm. Etliche Mitbewohner jagten in den Schutzraum der Luisenschule, weil sie sich dort sicherer fühlten. 2 Soldaten klingelten bei uns und baten um etwas zu trinken. Wir gaben ihnen von unserem "Muckefuck". Sie berichteten, sie kämen aus dem Lazarett mit der Weisung zu Türmen! Herr Gott, ist das das Ende des Großdeutschen Reiches???

Gegen Mittag standen 26 Feindpanzer (Amerikaner ) vor der Reichskrone, viele Menschen rannten hin, um sie sich anzuschauen. Gegen 3 Uhr nachmittags kamen die Mitbewohner aus der Luisenschule zurück mit der Nachricht: Die Stadt ist vom Feind besetzt, uns geschieht nichts mehr! Gott sei Dank ist der Wahnsinn des Terrors nun vorbei! Wilde Plünderungsgeschichten durchziehen die Stadt, viele schleppen heran, was sie nur erwischen können. – Nachts blieben wir nochmals im Keller, da Explosionen und lebhaftes Artilleriefeuer zu hören waren, man kommt nicht zur Ruhe.

13.4. Von früh 8 Uhr bis 18 Uhr ist Ausgeherlaubnis, so eilte ich gleich zu Besorgungen. Ununterbrochen jagen amerikanische Panzer und Autos durch die Stadt, und nächtliches Schießen zeigt uns die Nähe der Front. Man ist in ständigem Zittern und Bangen. – Oma ging mit den beiden Soldaten, bzw. nun jungen Männern, aufs Rathaus, um sie als Zivilisten anzumelden. Überall stehen amerikanische Posten und Wegweiser, Privatwagen sind gekapert und mit einem weißen Stern versehen. Große Anschläge verkünden die neuesten Maßnahmen. Alle Betriebe sind stillgelegt, nur die Lebensmittelgeschäfte sind stundenweise geöffnet. – Amerikanische Polizeiautos, kleine wendige Wagen, jagen durch die Stadt und schießen Schreckschüsse auf plündernde Leute. – Es gibt kein Licht, kein Wasser, kein Gas. Ich holte abends in der Hallischen Straße ein paar Eimer Wasser aus einem tiefen, tiefen Brunnen. Heute Nacht wollten wir wieder oben schlafen, doch der Artilleriebeschuß recht in der Nähe ließ einen kaum Ruhe finden.

14.4. Früh ging ich als Erstes zum Rathaus, um unsere Radios anzumelden. Eine lange Schlange hielt mich lange auf. Als ich zum Marienring zurückkam, stand der Fußweg und die Promenade voller Lastwagen. Bretter u.a. wurden aus den Häusern getragen und auf Handwagen geladen. Voller Schreck erkundigte ich mich bei Frau Schied, unserer Nachbarin, die gerade vor ihrem Haus Nr. 5 stand, was das bedeuten sollte. Die Häuser Nr. 1 bis 4 sind beschlagnahmt für Quartiere des Nachschubs der Feinde. Diesmal hatten wir wirklich Glück gehabt als Hausnummer 6. Es ist eine niederdrückende, erregende Zeit.

15.4. In dieser Nacht ist vom "Wehrwolf" geschossen worden, so haben wir nur von 8-10 und 16-18 Uhr Ausgeherlaubnis. Nun, wir bleiben zu Hause, es kam Nachmittag noch Besuch. Die beiden jungen Männer, die vor Tagen aus dem Lazarett kamen, sind weitergezogen.

16.4. Immer noch Ausgehverbot. Ich rannte gleich um 8 Uhr um Brot zu holen, stand bis 3/4 10 in der Schlange und bekam schließlich nichts mehr. Man erfährt nichts über den Kriegsschauplatz, von irgendwoher kommen Gerüchte. Wie mag es unseren Angehörigen gehen und vor allem unserem Vater??? Man ist in ständiger Sorge.

17.4. Das Ausgehverbot ist gelockert worden. Heute bekam ich Brot zu kaufen, wie gut! Der Strom und das Wasser sind wieder da, wunderbar. Nun können wir doch wieder Nachrichten hören, aber was man da zu hören bekommt ist trostlos. Magdeburg, Halle und Leipzig werden hartnäckig verteidigt, überall dringt der Feind vorwärts. Große Lastwagen mit Gefangenen ziehen westwärts – die armen Menschen! – Schwere Bomberverbände brausen über uns weiter ins Innenland, wohin mögen sie Tod und Verderben bringen? Man bangt um all unsere Lieben, wie mag es bei ihnen aussehen?

18.4. Nachts wachten wir durch ein kräftiges Donnern auf, wir fürchteten, die Front habe sich wieder näher an uns heran verschoben. Als ich das Fenster öffnete, zuckten kräftige Blitze herunter und es donnerte und goß. So glücklich waren wir noch nie über ein Gewitter wie in dieser Nacht!

19.4. Morgens wurden wir durch eine Polizeistreife gewarnt vor Plünderern, die Türen sollten gut verschlossen bleiben. Durch geöffnete und befreite Gefangenenlager sei die Gefahr besonders groß. – Der Russe hat eine neue Offensive begonnen. Berlin wird umlagert und zwischen Cottbus und Görlitz wüten starke Kämpfe. Der Amerikaner steht am linken Elbufer. Wohin soll das alles noch führen?

Wieder herrliches Wetter. Wir gingen zur Gärtnerei um Pflanzen zu holen. – Immer mal fallen noch Schüsse, Explosionen krachen und Feindwagen rasen durch die Straßen. Auch werden deutsche Gefangene wie Heringe zusammengepfercht vorbeigefahren, dazwischen Rote Kreuz Wagen und Sanitätspersonal. Wie hat sich alles in den 10 Tagen verändert!

23.4. Die Russen sind in Berliner Vororte eingedrungen, Hitler ist zum Endkampf in Berlin eingetroffen. Cottbus ist gefallen, ebenso Bischofswerda. Königsbrück wird stark umkämpft, auf Dresden liegt Artilleriefeuer – sagen die Nachrichten. Lieber Gott, hilf Du uns allen und all unseren Lieben. Man bangt und sorgt den ganzen Tag.

24.4. Früh bei meinen Besorgungen huschte ich schnell in unsere durch die Bomben ziemlich mitgenommene Marienkirche zu einer kleinen Morgenandacht. Es ist schön, daß einem die Gelegenheit geboten ist, in Andacht zu beten. Das Einkaufen ist entsetzlich beschwerlich, überall lange Schlangen und wenn man drankommt ist’s oft ausverkauft. Nachmittag gingen wir auf den alten Friedhof, der durch die Bomben in eine Wüstenei verwandelt worden ist. Offene Grüfte in denen weggeworfene Militäruniformen und Zeug liegen, man geht durch Rotten von Ausländern hindurch und fühlt sich unsicher und niedergedrückt. – Die Wehrmachtsberichte sind wieder ernst und sorgenvoll – wann wird endlich das Ende kommen?

25. 4. Großenhain ist gefallen, die Front rückt immer mehr auf Dresden zu. Heute kam die 1. Naumburger Zeitung unter der Militärregierung. Die kommende Lebensmittelzuteilung wird voraussichtlich nicht mehr gekürzt, das beruhigt mich sehr. Die Russen sollen bis nach Riesa vorgedrungen sein und die Elbbrücke soll gesprengt worden sein. Wenn man doch nur etwas von unseren Angehörigen erfahren könnte!

27. 4. Wieder recht erschwertes Einkaufen. Die Russen und die Amerikaner sollen sich bei Torgau getroffen haben. – Berlin soll schwer umkämpft werden. - Göring soll sein Abschiedsgesuch eingereicht haben!!!

29.4. Wieder große Unruhe wegen Räumungszwang in der Sedan-, Burg - und Grochlitzer Straße. Wir sind froh, daß wir verschont blieben. Gräßliches Wetter.

30. 4. Heute mußten wir ins Caffee-Zentral, eine Pflichtanmeldung für jede Person, wieder Schlange stehen. Zu Hause war ein Herr vom Quartieramt um Zimmer zu beschlagnahmen.

1.5. Der ganze Tag stand im Zeichen des Schlangestehens, und schließlich kam ich ohne Erfolg nach Hause. Ich war fast am Heulen, es ist so schwer meine Lieben satt zu bekommen, und wenn man schließlich nach Stunden heimkommt, ist der Ofen aus und alles kalt.

2.5. Heute nochmals der Versuch zum Anmelden. Es stand zwar auch wieder eine lange Schlange, aber heute klappte es. – Hitler soll tot sein, Generalfeldmarschall Dönitz sein Nachfolger. Doch es wird weiter gekämpft. Ich kann es noch nicht glauben, und vermute, daß Hitler noch aus irgendeinem Versteck weiter agiert.

3. 5. Heute wieder stundenlanges Schlangestehen. Als ich aus dem Laden gehen wollte, war so ein Gedränge, daß mir fast der Arm ausgekugelt wurde. Aber selig kam ich mit meinem bißchen Margarine nach Hause. – Verwirrende Nachrichten übers Kriegsgeschehen.

5. 5. Erneutes Schlangestehen von früh bis spät nach Brot und Gemüse und Fleisch. Für unsere 150 g Fleisch pro Person und Woche haben wir wieder nur Pferdefleisch gekauft, da es dafür die doppelte Menge gibt. Dönitz soll den Alliierten Mächten Waffenstillstandverhandlungen angeboten haben, die Russen sollen aber abgelehnt haben. Wenn nur erst einmal Klarheit und Wahrheit zu uns käme, was man hört ist verzerrt und unerfreulich.

7.5 Heute Mittag soll allgemeiner Waffenstillstand ausgerufen worden sein, aber Radiomeldungen sagen, daß Prag noch immer unter Feuer liege.

8. 5. Wir konnten endlich unsere Fensterscheiben wieder abholen, die beim Bombenangriff zerstört worden waren. – Großer Siegestaumel bei den Feinden. Ich bin sehr niedergeschlagen, – das ist nun das Ende des "ewigen großdeutschen Reiches!"

Gebe Gott, daß die Bedingungen der Feinde uns Deutschen ein menschenwürdiges Dasein zugestehen. Meine Tochter (12 Jahre alt) empfindet auch schon recht die Niederlage des Vaterlandes. Sie kann nicht begreifen, wie Kinder aus ihrer Umgebung die Amerikaner um Schokolade usw. anbetteln. Sie befolgt mein Verbot auf die Straße zu gehen strengstens. Nur Omas Hund Struppi verschwindet täglich so um die Mittagszeit, er hat seiner Nase folgend die Gulaschkanone der Amis in der Burgstraße entdeckt und läßt sich zum Gaudi der Soldaten gut futtern.

12.5. Das Zeitungsblatt brachte die Meldung, daß endlich der Verdunklungszwang aufgehoben ist. Sofort lösten wir alle Decken und Vorhänge und Rollos von den Fenstern. Wie schön diese allgemeine Helligkeit.

13.5. Am Nachmittag war große Beerdigungsfeier für die beim Bombenterror und Umbruch Verunglückten. – Mußten erst die Amerikaner kommen, um uns die Kirchlichen Feiern wieder zu erlauben?!

Also heute erfuhren wir es amtlich: Am Montag dem 7. Mai um 2Uhr 41 morgens hat Deutschland bedingungslos kapituliert. Damit ist der 2. Weltkrieg, der vor 5 Jahren, 8 Monaten und 6 Tagen begann, von den Alliierten siegreich beendet worden. Armes Deutschland, wie bist du irre geleitet worden! Wieviel Schmerz und Jammer hat dieser wahnsinnige Krieg über uns gebracht – was mag nun die Zukunft bringen???

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15.5. Oma hatte heute "Kränzchen" (Treffen alter Freundinnen mit Kaffeeklatsch) Es ging heute besonders lebhaft zu, da das Erleben in der letzten Zeit ja reichlich aufregend war. – Abends saßen wir auf dem Balkon beim Abendbrot, als plötzlich unser Familienpfiff ertönte und mein Vater unten stand! Das war ein Jubel! – und doch schlich sich in alle Wiedersehensfreude eine Furcht vor einer amerikanischen Gefangennahme ein. Wir konnten es gar nicht begreifen, daß wir plötzlich wieder beisammen waren und weinten vor Glück. – Dann sauste ich in den Keller, um Vaters Zivilsachen aus den Luftschutzkoffern zu holen. Nach einer gründlichen Säuberung mußte Vater tüchtig erzählen. Was hat der Ärmste alles durchgemacht und erlebt und aus wieviel Gefahren ist er wunderbar errettet! – Er hat sich bei dem 8-tägigen Marsch die Füße tüchtig wund gelaufen und ist natürlich auch körperlich wie seelisch unsagbar mitgenommen. Doch danken wir Gott, daß wir ihn wiederhaben. – Einen sehr großen Schmerz mußte er uns aber bereiten: Onkel Holms ( Bruder meiner Mutter) sind total ausgebombt in Dresden und haben ihren Arnd (ältester Sohn von 13 Jahren) unter den Trümmern begraben. Wir sind ganz erschüttert, wie furchtbar ist ihr Schicksal und wo mögen sie sich nun aufhalten? Auch Re ist sehr traurig, ihren Lieblingsvetter Arnd nie wiedersehen zu können. Lieber Gott, wieviel Schmerz und Jammer hat dieser wahnsinnige Krieg über uns gebracht – und was mag nun die Zukunft bringen?

16.5. Nach einem ruhigen Ausschlafen ging Vater fort, um sich bei der Militärregierung zu melden. Schweren Herzens ließen wir ihn gehen, mußte man doch immer mit seiner Verhaftung rechnen. Aber er kam doch wieder heim, leider ohne endgültigen Erfolg. Er soll am Sonnabend wiederkommen und sehen, ob bis dahin seine Papiere zurückgesandt worden sind. Man muß natürlich noch mit einer Vernehmung rechnen. Abends kam noch Besuch. Omas Beine sind sehr geschwollen, hoffentlich kommt Frau Dr. bald einmal heran.

17.5. Vater hatte wieder viel Wege zu Behörden, Wirtschaftsamt usw. Seine Füße heilen recht schön, im übrigen ist er sehr müde und kaputt. Eine Mieterin ist ausgezogen, ganz gut so – Gegen Mittag kam eine Familie Dr. Schmitt auf ihrer Flucht von Karlsbad nach Sangerhausen hierher, um ihre Freunde Dr. Michels zu begrüßen. Sie waren sehr bestürzt, sie nicht anzutreffen. Da sie reichlich erschöpft schienen, nahmen wir sie bei uns auf. Sie machten einen mitleiderregenden Eindruck: Dr. Sch. schwerverwundet an 2 Krücken, sie fuhr den Krankenstuhl, hochbepackt mit geretteten Koffern und Kisten, ein 10- jähriges Mädelchen Ursel fuhr ihr 2-jähriges Schwesterchen im Kinderwagen. Da prachtvolles Wetter war, schlugen sie sich im Hof ein Lager auf mit Liegestühlen usw. Ich brachte ihnen eine Büchse Kompott zur Erfrischung und zu Mittag briet ich ihnen ihre Kartoffeln. Nachts einigten wir uns mit Hansens (Mitbewohner), die die 2 Mädels aufnahmen, und das Ehepaar zog in das freigewordene Zimmer bei uns oben ein. Wir konnten noch lange im Garten sitzen.

18.5. Schön Wetter, viel zu tun Schlange stehen usw. Vater wieder viel Behördenwege, dauernd fürchtet man, daß Vater zu Vernehmungen abgeholt wird, scheußlicher Zustand. – Abends lange Verabschiedung von Dr. Schmitts, die morgen früh mit einem Passierschein von einem LKW bis Eisleben mitgenommen werden sollen. Es waren sympathische Menschen.

19.5. Früh 7 Uhr Abfahrt Dr. S. nach Eisleben. Kaltes Wetter. Viel Lauferei. Gegenseitige Besuche mit Freunden.

20.5. Pfingstsonntag, ausgeschlafen. Vater bastelte viel im Haus, Tochter hatte mir einen reizenden Muttertagstisch aufgebaut mit vielen Basteleien und einem Begleitschreiben, wie sie mir künftig helfen will. Sie hat immer so besonders liebe Gedanken und weiß solche Festtage bes. festlich zu gestalten. Nachmittag Besuch.

21.5. Pfingstmontag, wir genossen sehr die Ruhe. Nachmittag reparierten wir die Balkonjalousien, Vati legte sie uns auf. Wieder Besuch. Abends Rommee. Wir packten die Luftschutzkoffer aus und suchten nach Wäsche von Vater, leider hat er nur noch wenig hier.

22.5. Kühles Wetter, Vater reparierte wieder Etliches. Seine Papiere sind noch nicht fertig, es ist immer eine ungemütliche Warterei. Hoffentlich kann er noch bei uns bleiben.

23.5. Besorgungen, viel zu tun. Der Elektriker Menzel legte für Frau Dees elektrisch Licht in die Kellerstube. (Frau Dees wurde in der Gartenstraße völlig ausgebombt, verlor dabei Ihren Mann. Da sie meine Großmutter von früher her kannte, bat sie nach längerem vergeblichen Suchen meine Großmutter um ein Unterkommen, was durch die Überbelegung nur im Kellerzimmer möglich war). Am Nachmittag bekam Vati nach häufigem Nachfragen endlich seinen Paß mit amerikanischem Stempel. Gott sei Dank, nun hat man doch die Hoffnung, daß er bei uns bleiben darf. Uns ist ein Stein vom Herzen gefallen. Vor 8 Tagen war er den ersten Tag bei uns.

24.5. Vati hatte wieder verschiedene Laufereien und Reparaturen. Viel Regen. Re und Hansens Kinder spielten auf dem Boden mit heller Begeisterung. - Churchill soll mit seinem gesamten Kabinett zurückgetreten sein. Er wird wohl seine Macht aus seinen Händen gleiten sehen.

25. u. 26.5. Vielerlei Unruhe und Arbeit. Emma Dees brachte wieder Holztrümmer usw. aus ihrem Trümmerhaufen. Sie erzählte, daß sie heute ihren Kaninchenstall freigelegt habe, da sei ihr das große, alte Kaninchen ganz matt entgegen gehoppelt gekommen. Das arme arme Tier, 7 Wochen lang unter Schutt und Trümmern vergraben gewesen zu sein ist zu schrecklich,

hoffentlich geht es ihr nun nicht an Ermattung ein.

27. u. 28.5. Ein ruhiger Sonntag, lesen, Handarbeiten, abends auf dem Balkon Rommee gespielt. Am Montag zog Frau Dees ein, Vati schaffte tüchtig mit in Hof und Garten und half.

29. u. 30.5. Häßliches Schlangestehen um eine Geburtstagsblume. Nachmittag gewaschen. Auch am nächsten Tag wieder langes Schlangestehen um Gemüse, leider keine Kartoffeln erwischt. - Vati schafft tüchtig im Holzstall und Re spielt Krokett.

31.5. Vati und Re gingen heute Besorgungen machen und brachten herrlichen Salat mit.

1.6. Früh Putzhilfe da. Nachmittag löste mich Oma noch 1 Stunde in der Butterschlange ab, wegen 50 Gramm pro Kopf und Woche! Ich eilte heim, um mit Vati und Re nach Boblas zu wandern wegen unserer Kartoffelnot. Nach einem langen Marsch und manchem vergeblichem Fragen erwischte Vati 1/2 Zentner Kartoffeln. Wir waren selig. In der Mühle bekam Vati ein prachtvolles 4-Pfund-Brot. Reich beladen und glücklich zogen wir heim, die Schwierigkeiten mit unserem alten Handwagen lachend überwindend.

2.6. Vormittag tüchtig zu tun, und am Nachmittag gondelten wir 3 nach Schellsitz, um dort zu hamstern. Der gestrige Erfolg hatte uns mutig gemacht, doch wir waren bei mindestens 12 bis 15 Leuten und wurden überall prompt abgelehnt. Da das Wetter aber herrlich war, gaben wir uns Mühe, fröhlich zu bleiben, und kamen schließlich müde und hungrig heim. Abends klingelte es noch so gegen 1/2 9 Uhr, ich hörte gerade noch wie Vati rief: Mein Gott, wo kommt Ihr denn her! Wer steht vor der Tür? Inge Michel aus Cottbus mit einer Freundin (Tochter vom Jugendfreund meines Vaters). Müde und braungebrannt waren beide aus einem Gefangenenlager entlassen hier einpassiert. Wir nahmen sie natürlich sofort auf, doch war ich doch recht deprimiert, wie ich die Beiden wohl satt bekommen sollte. Doch Frau Kusian brachte ein paar gekochte Kartoffeln, die ich gleich briet, und so gings ganz gut. Dann bezogen wir rasch die Betten, die gute Frau Dees wurde ins Mittelzimmer quartiert, und nach einem erfrischenden Bad gings zur Ruhe.

3.6. Sonntag – herrliches Wetter. Die Mädels schliefen tüchtig aus. – Ich machte über mein Essen ein Kreuz, sie es mein Muttchen oft tat damit es reichen sollte, und siehe da, wir wurden auch zu 6 satt. Nachmittag waren wir alle gemütlich im Garten. Nach dem Abendessen kam noch eine junge ehemalige Mieterin dazu und wir spielten alle auf dem Balkon Rommee.

4.6. Meines Vaters Geburtstag. Gegen Mittag verließ uns das Fräulein Ingrid, ein sehr sympathisches Menschenkind in Richtung Halle. Was muß die Jugend alles durchmachen. Inge lief von Behörde zu Behörde und bekam eine 7-Tage Lebensmittelkarte und leider nur für 4 Wochen die Erlaubnis in Naumburg zu bleiben. Na – kommt Zeit, kommt Rat, darum machen wir uns heute noch keine Sorgen, bis dahin kann sich noch so manches klären. Abends ging Vati noch zu einer Bekannten zum Holzhacken.

5.-6.6. Inge viel Behördenwege. Nachmittag gingen Re und ich nach Grochlitz und erhandelten eine Tasche voll Wirsingkohl.

7.6. Meines Muttchens Geburtstag. Wie wohl ruht sie in ihrem letzten Bettchen, aber traurig bin ich, daß ich ihr nicht frische Blumen hintragen kann. Vor 1 Jahr begann die Invasion, da konnten wir auch nicht zu ihr. So hat mir Re ihr Bild herrlich geschmückt mit einer Begonie und Rosen und Margariten. Das liebe Herzel hat immer so liebe Gedanken.

8.6. Vormittags saubermachen, nachmittags gingen wir 4, Vati, Inge, Re und ich nach Schellsitz. Wir mußten uns in eine lange Schlange stellen, und als wir ca 1 Stunde gestanden hatten, öffnete sich das Hoftor für den 1. Schub. Beim Dritten waren wir mit dran und bekamen jeder 1 Pfund Spargel, Inge auf besonderes Bitten sogar 2 Pfund. So zogen wir sehr zufrieden in strömendem Regen heim.

9.6. Re hat bei ihrem Gärtnerfreund 6 Kohlrabi erhandelt, herrlich. Vati ist heute recht elend, er hat eine Art Mundfaule, eine Krankheit, die beim Militär stark herumging. Schlimm. Der Arme hat eine ganz dicke Backe und viel Schmerzen und ging gleich nach Tisch ins Bett. Hoffentlich wird es bald wieder gut.

l0.6. Sonntag. Trübes Wetter, Mittags herrliches Spargelessen. Vati geht es ein wenig besser. Nachmittag Rommee gespielt, abends Skat geübt unter Vatis geduldiger Anleitung.

11.6. Ich habe mir einen üblen Magen und Darmkatarrh geholt und fühle mich sehr elend. Inge hat einen geschwollenen Hals, Vati hat immernoch mit den Zähnen zu tun und Oma mit ihren geschwollenen Beinen. Hoffentlich bleibt Re wenigstens frisch.

Große Aufregung: Sachsen und Thüringen soll noch von den Russen besetzt werden! –

12. - 13.6. Inge verschaffte sich einen Passierschein nach Leipzig, um über ihre nächste Zukunft zu verhandeln.

14.6. Früh um 7 ging Inge zur Omnibushaltestelle und hoffte, mitgenommen zu werden. Da sie nicht wieder zurückgekommen ist, hat es höchstwahrscheinlich auch geklappt. Heute habe ich mit einer Schlangenbekanntschaft 1/2 Pfund Zucker gegen 12 Pfund Kartoffeln getauscht. Wenn mir es auch schwer wurde, den Zucker abzugeben, so habe ich doch wieder für 2 Tage Kartoffeln für meine hungrigen Lieben. Große Aufregung: Die Burgstraße ist geräumt worden, um Einquartierung für die zurückflutende, erholungsbedürftige amerikanische Infanterie zu schaffen. Hoffentlich wird der Marienring nicht auch noch belegt!

15 - 16.6. Oma mit Re nach Schellsitz wegen Gemüse oder Kartoffeln. Oma will ein Tischtuch als Tausch hingeben. Ja, hats geheißen, kommen Sie morgen früh wieder. Also gingen Vati und Re heute früh um 7 wieder hin. Oma und ich abwechselnd in die Gemüseschlange, aus der ich später heimkam als meine Lieben aus Schellsitz, die zu meiner großen Freude 30 Pfund Kartoffeln mitbrachten. Inge ist noch nicht zurückgekommen.

17.6. Sonntag, sonnig aber kühl. Abends kam Inge zurück, recht zufrieden mit dem, was sie erreicht hat. Einquartierung von einem jungen Arbeitsdienstmann, der nach Hamburg weiter will.

18.6. Vati, Re, Inge und ich früh nach Schellsitz. Wir bekamen 20 Pfund kleine Kartoffeln, Inge herrlich weißes Mehl und Grieß in der Mühle.

19.6. Inge und ich wieder nach Schellsitz, wo wir 5 Pfund Schoten bekamen.

20.6. Vati und Re in Schellsitz, mit einem herrlichen Kartoffelerfolg, 35 Pfund! Ich bin glücklich, so kann ich doch meine 5 schön satt machen. Oma in der Mühle, ohne Erfolg.

21.6. Die beiden Ingen rüsten zu einer Reise nach Jena und Weimar. Sie marschierten früh zur Jenaer Str. in der Hoffnung, von einem Lieferwagen mitgenommen zu werden. Oma, Vati und Re nach Flemmingen, ohne Erfolg. Mittags Gewitter.

23.6.Gegen Mittag kamen beide Ingen wieder, sie hatten alles erreicht, sind aber total erschöpft.

23.6. Früh kam eine Fuhre Kohlen. Vati, Re und Oma tüchtig in Arbeit mit Hineintragen. Ich ging auf den Markt und wurde bald totgedrückt um 2 Bund Möhren. Nachmittag Johannisbeeren und Kirschen abgenommen und tüchtig eingeweckt.

24.6. Sonntag Vormittag kam ein Soldat aus Cottbus, der einen Brief von Inges Eltern brachte. Große Freude allerseits. Vor allem, da alle die Russengefahr gut überstanden haben, Inge ist glückselig. Nachmittag trieb uns ein heftiger Gewitterregen vorzeitig aus Hängematte und Liegestühlen.

25 .6. Vati, Inge u. Re wieder nach Schellsitz, ohne Erfolg. Nachmittag wieder Obst abgenommen, und eingeweckt. Inge ging ins Bett wegen plötzlichem Fieber.

26.6. Ich morgens nach Schellsitz. Inge weiterhin krank. Abends Vati und Re nochmals nach Schellsitz, schöne Möhren bekommen.

27.6. Ganzen Tag Regen. Inge noch immer krank, so daß Vati Frau Dr. Befelein her bat, die auch abends noch kam – womöglich Typhus! –

30.6. Inge hat Gott lob offensichtlich doch keinen Typhus, sie ist aber ein schwieriger Patient. Für Omas Geburtstag Kuchen gebacken – recht kriegsmäßig. Nachmittag große Bestürzung, Vati bekam vom Arbeitsamt einen Arbeitsbefehl, sich am Montag früh um 7 Uhr im Bauhof zu melden.

1.7. Sonntag. Wetter schlecht und Stimmung mies. Re ging nachmittag zu Annelotte Scheidig zum Geburtstag, ich pflegte Inge. Abends kamen noch Dr. Wenzels, Verwandte von Inge.

2.7. Früh 6 Uhr raus, Omas Geburtstag. Vati 7 Uhr zum Bauhof, recht niedergedrückt kam er wieder, er muß am Lindenring Bombentrichter zuschaufeln. – Für Oma hatten wir ein Paar Pelzschuhe gekauft, alles muß durch lange Schlangesteherei mühsam erkauft werden. Frau Dr. kam zu Inge, ich hetzte dann in sämtliche Apotheken nach den Medizinen herum und dann in Eile heim zum Essen kochen. Ein unruhiger Tag. Abends noch lange beisammen gesessen.

Die ersten Amerikaner verlassen die Stadt, da russische Besatzungstruppen herkommen sollen.

3.7. Gewitterwetter. Vati wieder zum Schippen – recht niedergedrückt. Gegen Abend noch viel Besuch für Oma. Durchzug der Russen. Große Plündereien von Italienern und Polen.

4.7. Vati zum Schippen, Frau Dr. bei Inge, mittags kam ihr Onkel. Danach stieg die Temperatur bei Inge erheblich an, so daß ich Frau Doktor vom Roten Kreuz aus anrief. Sie forderte, daß Inge ins Krankenhaus solle, so konnte ich an Ort und Stelle gleich alles erledigen. 1 Stunde später brachten wir Inge ins Krankenhaus. – Die Pflege war recht anstrengend.

5.7. Früh gleich zum Wirtschaftsamt und Krankenhaus, dann große Desinfektionsaktion im Hause. Ich habe am Nachmittag gewaschen, um 5 Uhr mit Re nochmals ins Krankenhaus. Vati völlig kaputt, körperlich und seelisch.

6.7. Vati ging zu verschiedenen Dienststellen, um eine leichtere Arbeit zu erhalten. Sämtliche Läden sind geschlossen. Die Stadtverwaltung ist unter russische Oberherrschaft gekommen –

Damit enden die Aufzeichnungen von Annemarie Reißbrodt.

Willkür

Anfang Juli 1945 hatten uns die Amerikaner verlassen und die Russen Einzug gehalten. Wir waren sehr unglücklich darüber, was wird uns nun bevorstehen? Mein Vater war nach abenteuerlichem 14tägigem Fußmarsch heil nach Hause gekommen, und hatte sämtliche Anmeldungen und Registrierungen gut überstanden. Nun ging für die ehemaligen Offiziere wieder das Bangen los. Er hatte alle vorgeschriebenen Anweisungen strikt befolgt und wir hofften nun eine ruhigere Zeit zu haben. –

Da kam eines Tages, es mochte wohl Ende Juli - Anfang August gewesen sein, eine deutsche Dolmetscherin und ein russischer Offizier bei uns klingeln : Papiere zeigen! Vater zeigte ihnen alles was sie haben wollten, der Russe war zufrieden und ging bereits wieder die Treppe hinunter. Die deutsche Dolmetscherin aber hielt ihn zurück und sagte: Halt, Offizier, mitnehmen! Lange bange Stunden vergingen für uns alle. Meine Großmutter regte sich so darüber auf, daß sie eine Gallenkolik bekam und schleunigst ins Krankenhaus mußte. – Am späten Abend kam mein Vater zu unser aller Jubel wieder heim und erzählte Folgendes. Alle Verhafteten bei dieser Razzia wurden auf der Vogelwiese zusammengefaßt. Mein Vater traf dort noch einen bekannten Herrn und beide tauschten so ihre Erlebnisse aus. Plötzlich hieß es – alles in einer Reihe aufstellen, es mochten wohl gut 100 oder mehr Männer gewesen sein. – Dann hieß es "Durchzählen!" Die geraden Zahlen vortreten! – Nun standen 2 Gruppen herum. Da kamen russische Lastwagen, luden die eine Gruppe auf und verschwanden. Nach einiger Zeit durfte die andere Gruppe nach Hause gehen! Mein Vater hat von seinem guten Bekannten nie wieder etwas gehört, dessen Angehörige auch nicht!

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[Russische Besatzung]

Die Zeit nach der Besetzung durch die Russen brachte viele zusätzliche Ängste und Erschwernisse mit sich.

Nach den relativ toleranten Amerikanern mit der starken Motorisierung kamen die sehr bestimmenden Russen, zum Teil noch sehr primitiv ausgestattet mit Pferdewagen, bespannt mit kleinen, struppigen aber zähen und ausdauernden Panjepferden. Sie besetzten natürlich die ganzen vorhandenen Kasernen und außerdem noch viele Privathäuser, deren Bewohner innerhalb weniger Stunden ihre Wohnungen verlassen mußten. Darunter waren auch ganze Straßenzüge, die komplett geräumt und gesperrt wurden. So z.B. die Breithauptstraße und der Frauenplan.

Auch zu uns an den Marienring kamen die Russen mit den Worten: "Wohnung, Wohnung, ganze Wohnung raus!" Da wir aber gerade den Typhusfall bei uns hatten und ein großes Schild "TYPHUS" an der Haustür prangte hatten wir Glück und der russische Quartiermacher ließ uns in Ruhe. Große Angst verbreitete sich unter den nach Lebensmitteln anstehenden Menschenschlägen vor den nur mit geringen Mengen ausgestatteten Geschäften. Die Russen kamen mit offenen LKW’s durch die Stadt gefahren, hielten vor willkürlich ausgewählten Schlagen an und zwangen so jeweils 20 bis 30 Frauen auf die Wagen und nahmen sie mit in die Kasernen zum Putzen von vor allem den Toiletten.

Trotz aller Schwierigkeiten und miserabler Versorgung waren wir doch immer wieder dankbar, daß der entsetzliche Krieg mit den Bomben und Schlachtfeldern zu Ende war. Die durch unsere Befreier geräumten Lager und Gefängnisse füllten sich aber nun wieder mehr und mehr durch sie mit oft unschuldigen und willkürlich verhafteten deutschen Bürgern, von denen viele dann nicht mehr zurückkehrten. Dadurch war die Bedrückung damals sehr groß und man hatte ständig Angst, den einen oder anderen Familienangehörigen auf diese Weise noch zu verlieren.

Im Laufe der folgenden Jahre normalisierte sich ganz langsam das Leben. Die Willkür ließ auch nach, aber gehungert und gefroren wurde weiterhin sehr stark. Vor allem der Winter 1947 mit wochenlangen Kältegraden von 20 bis 30 Grad unter Null im Februar und steifem Ostwind zehrte stark an allen Menschen. Aus dieser großen Not heraus wurden nachts die auf dem Bahnhof haltenden Kohlenzüge geplündert und die Polizei war machtlos. Treibstoff war natürlich Mangelware und die Fahrzeuge dazu auch. LKW’s wurden deshalb häufig mit Holzgasgeneratoren ausgestattet, um überhaupt noch die wichtigsten Transportprobleme zu bewältigen. Wer über Pferdegespanne verfügte war gut dran.

Schwarzmarkt und Tauschhandel blühten. Die gute alte Reichsmark existierte zwar noch beim offiziellen Einkauf auf die Lebensmittelmarken. Mit denen konnte man aber kaum auskommen. Wer zusätzlich etwas brauchte, mußte bei den Bauern der Umgebung betteln gehen und als Bezahlung diente da nicht etwa die Reichsmark, nein, da mußten wertvolle Güter des täglichen Lebens ran: hier ein Teppich dort Porzellan oder gar Silber. Ich habe es erlebt, daß für ein Klavier vier Zentner Kartoffeln geliefert wurden. So besinne ich mich, daß selbst 1948 mein schönstes Konfirmationsgeschenk ein Dreipfundbrot gewesen ist! Es wurde sorgfältig eingeteilt mit "Kerben", kleine Einschnitte an der Seite, bis zu denen nur täglich abgeschnitten werden durfte. Die Rationen waren damals doch noch sehr knapp!

Auch an des "Stoppeln" von Kartoffeln sollte erinnert werden. Zu Scharen zog die Bevölkerung auf nahe und ferne Kartoffelfelder der Umgebung. Man wartete bis der Landwirt das Feld abgeerntet hatte: Sobald der letzte Wagen das Feld verlassen hatte stürzte alles auf den Acker und die mitgebrachte Hacken traten in Tätigkeit. Wenn das Feld günstig war, konnte man am Nachmittag schon einen ganzen Zentner der Erdäpfel sammeln. Um einen Erwachsenen ein Jahr mit Kartoffeln zu versorgen benötigte man damals 5 Zentner! Denn: Kartoffeln, Brot und Mehl waren die Hauptlebensmittel, Beilagen gab es nur ganz wenig.

So könnte man noch Vieles berichten, so z.B. vom Sirup-Kochen aus gestoppelten Zuckerrüben und vom Tabakanbau, weil es ja auch keine Tabakwaren gab, aber das würde jetzt zu weit führen. Zum Schluß möchte ich nur noch das Eine sagen: Mögen solche Zeiten nie wieder kommen!