Ich kann mich aber erinnern, dass wir bei Fliegeralarm meist vor der Kellertür gestanden haben und die Bomber, voran die silbern blinkende Leitmaschine und dahinter die grauen Bomber, betrachtet haben, die ihre Bombenlasten nach Berlin und anderen großen Städten und Zielen brachten. An einem Tag, welches Jahr weiß ich nicht mehr, aber es muss Sommer gewesen sein, haben die Bomber wohl noch ein paar Bomben an Bord gehabt, die über Naumburg abgeworfen wurden. Es wurden ein paar Häuser im Stadtzentrum, der alte Domfriedhof und das Heereszeugamt getroffen. Für uns Kinder war vor allem (diejenigen, die in die Marienschule gingen) der zerbombte
Domfriedhof eine Sensation! Bei einigen Erbbegräbnissen waren die Abdeckplatten verschoben, und darunter konnte man Gebeine erkennen. Mein Vater war im Krieg in Russland und bis 1947 dort, in Gefangenschaft. Meine Mutter arbeitete im Hotel "Drei Schwanen" als Zimmerfrau. Dort hatte ich eine Freundin, eine polnische Fremdarbeiterin (ich schätze im Nachhinein, dass sie etwa 18 Jahre alt war) namens Olga, die ich heiß und innig geliebt habe.
Was wusste ein achtjähriges Kind schon über Fremdarbeiter, zumal sie von der Hotelbesitzerin wie ein "normales" Küchenmädchen behandelt wurde. Im Dachgeschoss befanden sich die Mädchenkammern, und Frau Bergmann schloss auch nicht abends die Zimmertür bei Olga ab, wie es eigentlich Vorschrift war. Olga wurde im April 1945 von den amerikanischen Truppen befreit und kam in ein Lager in der bisherigen Nationalpolitischen Erziehungsanstalt in der Kösener Straße zwecks Rückführung in die Heimat.