Maschinen zu beobachten oder die abgeworfenen Stanniolstreifen, Lametta genannt, einzusammeln.
Aber diesmal war nichts zu sehen. Nochmals gingen die Sirenen an. Dann rannten wir in den Keller. Ein schrilles Pfeifen, welches immer lauter wurde, erfüllte den Kellerraum. Eine heftige Explosion erfolgte, der Splitterschutz vor dem Notausstieg flog davon. Qualm und Staub schössen durch die Öffnung in den Keller. Angst und Schrecken herrschten. Sofort gingen wir in den Tiefkeller. Hier gab es keinen Strom. Die Dunkelheit machte uns Angst. Kerzen und Taschenlampen gaben ein gespenstisches Licht. Dumpf klangen die Explosionen bis hier herunter. Sand und Kalk rieselten bei jedem Einschlag aus den Fugen des Mauerwerkes. Ich kauerte in einer Ecke bei meiner Mutter und weinte vor Angst. Es ging Schlag auf Schlag, und es war so schrecklich. So plötzlich wie der Luftangriff begonnen hatte, hörte er nach einer endlos scheinenden Zeit wieder auf. Da wagten sich mein Vater, der mit einem Handdurchschuss als Verwundeter im Naumburger Lazarett behandelt wurde, und Herr Brauer heraus.
Das Haus unserer Großeltern, Nummer 39, war zerschlagen. Über Notausgänge und Kellerdurchbrüche konnten sie über die Salzstraße 38 aus dem verschütteten Keller gerettet werden. Ich weiß noch, dass meiner Großmutter das zerstörte Haus und der Verlust anderer Habe in dem Moment nicht bewusst war. Sie weinte und jammerte nur um ihre erschlagenen Hühner.
Als Sechsjähriger konnte ich das alles nicht fassen. Kurz vorher hatte ich noch auf dem Hof gespielt -und jetzt nur noch Berge von Trümmern. In der Salzstraße standen von Nummer 33 bis zur Sparkasse nur noch die Fassaden der Häuser.
Dahinter war alles in Schutt und Asche gelegt. Teilweise brannte es. In der Druckerei Sieling brannte der Dachstuhl, die Feuerwehr war schon am Löschen. Das Lebensmittelgeschäft Langbein, Salzgasse/ Ecke Salzstraße, war vollkommen zerstört. Die gesamte Posthalterei, Rückgebäude der Nummer 35, war ein riesiger Trümmerhaufen. Von der Salzstraße über die Salzgasse zur Neustraße und bis zur Neugasse ein Feld der Zerstörung. Vom Textilhaus Matthias stand nur noch die Vorderfront. Ein riesiger Bombentrichter, von einer der schrecklichen Luftminen angerichtet, war am Topf markt vor der Wenzelskirche. Die leichte Absenkung in der Straße und die Splittereinschläge in der Fassade der Wenzelskirche sind noch heute Zeugen jenes furchtbaren Tages.
Rettungsdienste, soweit noch vorhanden, und viele andere Helfer suchten nach Verschütteten. Aus der Polizeistation in der Salzgasse wurden zahlreiche Todesopfer geborgen. Fast alle Nachbarn von uns standen innerhalb kürzester Zeit vor dem Nichts. Hab und Gut alles verloren. In den verschonten Häusern gab es keine Fensterscheiben mehr, in den Wohnungen lagen meterhohe Schuttberge. Weitere Zerstörungen waren noch auf dem Wenzelsfriedhof und dem Heeres-zeugamt. Der Wenzelsfriedhof wurde daraufhin eingeebnet. Einige Bombentrichter waren in den Streitweiden. Am 11. April 1945 gegen 21 Uhr standen die ersten amerikanischen Truppen in Bad Kosen an der Saale, welche dann am 12. April 1945 auch Naumburg besetzten.