Der Juni 1937 hatte ungewoehnlich kaltes Wetter gebracht, und nur abgehaertete Naturen konnten dem Baden in der Saale etwas abgewinnen. Der Tag war trueb und wolkenverhangen. Dazu wehte ein kalter Nordwind aus dem UnstruttaL Die Badeanstalt war fest menschenleer, als ich mich froestelnd in meiner Badehose am Herrren-Schwimmbecken bei Adolf Kaiser - allgemein bekannt und beliebt als Kaiser Ede - zur ersten Schwimmstunde meldete. Kaiser Ede, urspruenglich Saalefischer, bis die Industrialisierung im oberen Saaletal den Saaleaalen den Garaus machte, hatte mit der Flussbadeanstalt, die er unterhalb der Rossbacher Bruecke betrieb, fiier sich und seinen Sohn eine neue Existenz geschaffen.
Nach einem kraeftigem Schluck aus der Emailletasse mit heissem Kaffee, die ihm seine Schwiegertocher gebracht hatte, und dreimal tief an der Pfeife gezogen, verlautete er "Dann wollen wir einmal". "Wollen" vielleicht fiier ihn, fuer mich war es "Muessen". Er lege mir einen nass-kalten Schwimmguertel, aus groben Sisal geflochten, um die Brust und verschmierte ihn auf dem Ruecken mit einer langen Leine, die ueber das Ende einer kraftigen Holzstange - eben der Angel - lief. Das Prinzip war denkbar einfach. Die Angel lag auf dem Gehender des Schwimmbeckens, und Kaiser Ede, ueber der Angel liegend, dirigierte ihren Winkel zur Wasserflaeche mit seinem Koerpergewicht. Ein Druck mit dem Unterschenkel auf das untere Ende der Angel, und was an der Angel hing, - das sollte bald ich sein - wurde an der Wasseroberflaeche gehalten. Umgekehrt, wenn der Druck nachliess, und sich das obere Ende der Angel nach unten neigte, war man auf sich selbst angewiesen. Keine Unterstuetzung von oben.
Die vertikale Holztreppe ins Schwimmbecken hatte nur ein paar Stufen. Die unterste erreichte ich, als mir das Wasser kaum bis ans Knie reichte. Ich wuerde gerne beherzt sagen, jedoch nur mit dem Mut der Verzweiflung warf ich mich nach vorn ins Wasser. Der Schwimmguertel, nicht zu fest gezurrt, hatte sich nach unten verschoben. So aus dem Gleichgewicht gekommen, landete ich mit meinem Kopf tief unter Wasser.
Nach Luft schnappend und doch nur Wasser schluckend, schlage ich mit meinen Armen wild um mich herum. Von oben keine Hilfe. Nur ein rasender Gedanke: wie erreiche ich die rettende Treppe? Und dann doch: die Leine strafft sich. Ich sehe wieder Licht, nun nicht mehr durch das Prisma des Wassers gebrochen, und hole tief Luft. Und von oben die beruhigende Stimme: "Nur ruhig. Flach im Wasser liegen. Die Arme beide nach vorn aussstrecken". Die erste Schwimmanweisung. Bis auf den heutigen Tag lasse ich mir nicht ausreden, das war meine Wassertaufe, von Kaiser Ede mit Vorbedacht ausgefuehrt und vielleicht aus bester Absicht, um mir ein anhaltendes Gefuehl dafuer zu geben, wie es im Wasser zugeht, in dem man keinen Grund mehr bekommt, - und dass es gut ist, wenn man Schwimmen kann.
Der Rest ist Epilog. Erst nur Armuebungen. "Nach vorn austrecken, Handflaeche an Handflaeche. Dann zur Seite winkeln und unter der Brust zusammenschliessen". Und wieder von vorn. Dann folgen Beinuebungen. Dann Arme und Beine zusammen. Und schon bei der zweiten Schwimmstunde- oder war es erst die dritte? - ploetzlich das Gefuehl, mit diesen Bewegungen faengt das Wasser an zu tragen. Die Leine und die Angel, an der sie haengt, werden hinderlich. Man kommt nicht vorwaerts.
Kaiser Ede konnte die Angel und bald danach auch die Leine zur Seite legen. Mit vier Runden um das Herrenschwimmbecken schwamm ich mich frei. Es folgten viele Jahre ungetruebter Badefreuden in Kaisers Badeanstalt. Heute erinnert nur noch eine Gedenktafel an die Stelle, wo Kaiser Ede mich "ditschte", sagt man so noch in Naumburg?