Moretal nach Kösen. Wir haben dazwischen 2 mal ausgeruht. Ich hatte mein weiß-blaues Kleid an. Erst bis zum Geiersberg war es schön kühl, aber dann zum zerschmilzen heiß. Ich hatte einen Rucksack mit, gepumpt von Dolly, da auf dem Laden der Schlüssel zum Vorratsschrank fehlte. Ich hatte viel Brode mit, 2 Apfelsinen, 1 Tafel Schokolade u. 1 Flasche Apfelsinensaft. Auf der Rudelsburg war es sehr lustig u. ich schrieb an Euch und an Käthe. Frl. Enke, Frl. v. Paris, Frl. Reimann u. Frl v. Sperling waren mit. Von Kösen aus fuhren wir zurück. 3/4 2 war ich zu Hause, aß u. trank. Und zog mich dann nackt aus und schlief 2 Stunden herrlich! Die Familie Broche um 1915, Ilse, die Eltern, Hans und WalterNach dem Kaffee fing schon etwas das Lampenfieber an u. ich wurde immer aufgeregter. Dann wurde ich frisiert u. angezogen. Ich kam mir sehr stolz vor mit den weißen Handschuhen. Als ich fix und fertig war, ging [ich] 1/4 6 auf die Straße, um auf Hans zu warten. Nun paßt auf!!! Auf einmal hielten Elliesen u. Grätz vor unserm Haus an (mit d. Rad) u. stürmten zu uns hinein. Ich dachte mir, sie wollten irgendetwas fragen. Aber als ich reinkam, als die beiden schon wieder wegwaren, sagte mir Walter: "Ilse, Tanzstunde fällt sicher aus!" Ihr könnt Euch denken, wie traurig ich war. Frl. Sievert hatte nähmlich die vorhergehende Tanzstunde ausfallen lassen, da sie krank war. Walter stand i. d. Unterhose im Flur, denn er wollte sich dann nicht anziehen. Elliesen wollte zum Schützenhause fahren u. uns dann ganz bestimmt Bescheid geben. Er fiel aber unterwegs hin, das Rad kaput u. ihm seine Hand nicht sehr schlimm, aber doch unangenehm, aufgeschurrt. Da sie nicht kamen, telephonierte Walter an das Schützenhaus u. dieses sagte, daß ihnen nichts weiter gesagt wär. In diesen Tumult hinein erschien Hans strahlend. Dann aß ich fix die Brote u. trank Milch u. machte mich zurecht und zog zu Dolly.

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Im Schützenhause angelangt standen wir Mädchen alle zitternt und kichernd vor Angst u. Freude da. Da öffnete sich die Tür und herein schritt Frl. Sievert. Blaß wie der Tod, gräßlich. Sie sagte, sie hätte d. ganze Nacht nicht geschlafen vor Schmerzen im Magen und Rücken, aber uns wollte sie die Freude nicht verderben. Dann ging sie raus und wir mußten uns in eine Reihe setzen. Auf einmal ging die Tür auf u. Werner Elliesen trat mit einem tiefen Diener i.d. Saal. Als sie alle versammelt waren, stellten wir uns ihnen gegenüber und nun wurde vorgestellt. "Bitte engagieren!" rief Frl. Sievert. O, mein Herz klopfte laut. Aber schon verbeugte sich ein Jemand vor mir. Dann ging der Polka los, immer 8 Paare, wir kamen 3 x dran. Vor mir tanzte Walter mit - Dolly. Wißt Ihr, wer mit mir tanzte? Schulze wars, er tanzt sehr gut. Die Unterhaltung bei allen sehr minderwärtig. "Walzer engagieren." (Natürlich war erst Sitzpause, das ist furchtbar fatal, wenn die Herren so angestürzt kommen, einer war beinah mal gefallen. Ich schwitzte.) Auf mich schoß Kurt Elliesen. Er tanzt auch ganz nett. Bei den Herrn ist es so komisch, die kommen gar nicht richtig rum, und auf die Füße treten ist kein seltenes Ereignis. Beim Wonstepp tanzte Papst mit mir, fein! Beim Walzer Dannil. Der sagte gleich zu mir: "Gnädiges Frl. entschuldigen bitte, wenn ich sie anstoße, daß kommt bei mir zu oft vor und dann brauche ich mich nicht immer zu entschuldigen". Der redete am meisten. Walter tanzte oft mit Krista, einmal mit Hanny Richter u. einmal mit Lotte Lem u. mit Edith Arnold. Menuett mit Altenburg, das ging gut. Walzer mit W. Schmidt. Wir duzten uns gleich. So daß war alles. Ein Haufen v. Müttern waren da. Walter u. ich freuen uns schon wieder sehr auf die nächste Tanzstunde. Als wir uns angezogen hatten, ging ich runter, da steuerte mir Matthias entgegen u. sagte: "Gnädiges Fräulein, dürfte ich sie zum Ball engagieren? Ich wurde knaz rot u. sagte verlegen: "Ja, danke schön, sehr gern." Dann sagte er: "Dann werde ich die Ehre haben, und sie nächsten Sonntag zu besuchen, Adieu." Fort war er u. ich. Ich bin froh, daß ich den habe, ich habe es mir oft gewünscht. Und klein, sage ich Euch, ist er gar nicht. Fein, nicht? Walter sagte nachher, Schulze hätte zu ihm gesagt: "Wer war das nur, mit der ich zu erst tanzte, sie tanzte fein." Da sagte K. Elliesen: "Ja, das ist Frl. Broche." Schulze sagte: "So, also W. Schwester?" "Ja", sagte Walter. "O," sagte Schulze, "dann engagiere ich sie zur ersten Tanzstundenpartie." – Denkt Euch, das war einer der schönsten Tage meines Lebens. Um wieviel Uhr kommt Ihr Sonnabend? Um 1/2 6 oder 8? Heute habe ich schön lange geschrieben, nicht? Drum will ich schließen. Recht schönes Wetter wünscht Euch Eure Euch dankbare Tochter
Ilse.

N. S. Ich dachte nicht, daß mir es heute so gut geht. Aber nichts fehlt mir, fein. Das Wetter ist wieder heiß. Wie bei Euch? Mutti, ich habe mein neues weißes Kleid an, mit der roten Schärpe. Heute Nachmittag 1/2 6 gehen wir zu Großmama. Tante Brochen ist fein, himmlisch.
Gruß u. Kuß Ilse.

L. Gr. da ich weiß, daß auch du den Brief bekommst, will ich dich recht herzlich grüßen. Das mir es gestern gefallen hat. kannst du dir auch denken! Denkt mal, alle drei, Walter hat - - - Krista Schweitzer engagirt zum Ball. Es küßt u. umarmt dich deine
dichliebende Enkelin Ilse.

[Wir danken Frau Hildegard Broche, Bielefeld, für die Überlassung der Dokumente.]