Ein Kästchen zum Schnäppchenpreis
Eine kleines Kästchen, das im Museumsmagazin für einige Jahrzehnte ein unbeachtetes Dasein geführt hatte. Es fiel uns auf, weil unter krustigen Verschmutzungen eine farbige Fassung zu erahnen war und auch sonst einiges auf ein höheres Alter des Kästchens hindeutete. Öffnen ließ es sich nicht, da das Schloss klemmte und erst durch einen Restaurator entrostet werden musste.
Das Kästchen vor der RestaurierungWas die Arbeit des Restaurators dann zutage förderte war recht interessant: Die Zargen der aus Buchenholz gefertigten Lade waren im 19. Jahrhundert marmorisierend übermalt worden und auch der Deckel wies partielle Übermalungen auf. Die starke Verschmutzung und der heftig nachgedunkelte Firnis führten dazu, dass man die Malerei gerade noch erkennen konnte. Nach der Abnahme des Firnis und der auf dem Deckel fragmentarischen, auf den Zargen flächigen Übermalungen war die Originalfassung wieder so vollständig zu erkennen, dass auf Retuschen ganz verzichtet werden konnte. Die Zargen zeigen nun nach der Restaurierung wieder die Renaissance-Ornamentik in Weiß auf grünem Grund, umrahmt von einem malerisch angedeuteten rotbraunen Profil. Unten und oben wird der Korpus jeweils durch ein Profil abgegrenzt, wobei das untere relativ schlicht gehalten ist, während das obere durch eine Wellenleiste gebildet wird. Von den vier gedrückten Kugelfüßen, auf denen das Kästchen steht, musste einer durch den Restaurator nachgearbeitet werden, weil das Original verloren gegangen war.
Ob die untere Profilleiste zur ursprünglichen Ausstattung gehört, lässt sich ohne weitere Untersuchungen kaum feststellen, die obere, wellenförmige Leiste wird jedoch eine spätere Zutat sein, da solche Leisten erst ab Beginn des 17. Jahrhunderts hergestellt wurden. Da nun das Bildfeld des Deckels die Leisten teilweise mit einbezieht, kann daraus gefolgert werden, dass auch die bildliche Deckelbemalung eine Zutat des 17. Jahrhunderts ist. Das Bild, das wir nun wieder gut erkennen können, zeigt eine Verkündigungsszene. Links steht die in Weiß gekleidete Maria neben einem Lesepult, auf dem ein aufgeschlagenes Schriftstück liegt. Die rechte Bildhälfte wird beherrscht durch den Erzengel Gabriel, der leuchtend rot gewandet aus einer Wolke tritt und in der Hand eine Lilie mit drei Blüten trägt. In der Mitte schwebt die den Heiligen Geist verkörpernde weiße Taube. Das Verkündigungsmotiv ist hier in einer seit dem Hochmittelalter typischen Weise dargestellt, die recht naive Malweise mutet jedoch eher barock an, so dass auch diese eine Datierung ins 17. Jahrhundert bestätigen würde.
Das Kästchen selbst ist allerdings etwas älter, die Innenseite des Deckels verrät uns dies. Denn nachdem das Schloss wieder funktionstüchtig war konnte der Deckel angehoben werden und zum Vorschein kam eine beeindruckend blaue Ausmahlung in kräftiger, mittelblauer Temperafarbe. Das erfreulichste aber war eine Inschrift, die sich auf der Innenseite des Deckels fand:
"Zu margraven Buden, gecaufft / vff mitwoch nach Quasimodo geniti / 1554 / mit Fünff Laden vor / Sieben Batzen"
Die Inschrift stammt zweifellos aus der Zeit, die sie nennt und datiert damit zuverlässig auch das Kästchen. Der Name Markgraf findet sich in Naumburg seit dem frühen 15. Jahrhundert belegt, obwohl damit natürlich noch nicht erwiesen ist, dass Markgrafs Bude einst auf dem Naumburger Markt stand. Da Quasimodogeniti der erste Sonntag nach Ostern ist, der im Jahr 1554 auf den 1. April fiel, feiert das Kästchen im April eine Art Geburtstag: am 4. April 2012 waren es ziemlich genau 458 Jahre, seit es aus Markgrafs Marktbude in die Welt entlassen wurde.
Was es mit den "Fünf Laden" auf sich hat, bleibt allerdings unklar. Man hätte das ganze Kästchen als Lade bezeichnen können (wie etwa die Innungsladen), dann wäre der Schreiber so zu verstehen, dass insgesamt fünf gleichartige Kassetten gekauft wurden, wovon wir eine vor uns haben. Wahrscheinlicher scheint aber, dass mit den fünf Laden Einsätze gemeint sind, die man teilweise auch "Beiladen" genannt hat. Der neue Besitzer, von dem wir nichts wissen, scheint seinen Kauf jedenfalls so bemerkenswert gefunden zu haben, dass er die Nachricht davon groß und deutlich verewigt hat. Waren drei Batzen für solch ein Kästchen viel oder wenig? War es ein Schnäppchen, auf das der neue Besitzer stolz war?
Unabhängig davon ist das Kästchen ein seltenes Beispiel für das Alltagsmobiliar des 16. Jahrhunderts. Die Ausstattungen von Schlössern und Kirchen, von Klöstern und Patrizierhäusern sind relativ häufig überliefert, je kostbarer, desto eher. Solche Alltagsgegenstände aber, die gebraucht und verschlissen werden, sind relativ rar. Deswegen haben wir uns ganz besonders gefreut, dass wir das wieder hergestellte Stück in die Dauerausstellung im Museum "Hohe Lilie" aufnehmen konnten, wo es sich im exakt passenden Umfeld befindet.
P. S.
Bedauerlicherweise wissen wir nicht, wann das Kästchen unter welchen Umständen und von wem ins Museum gebracht wurde. Wenn Sie wissen wollen, warum wir uns in dieser unangenehmen Lage befinden, lesen Sie hier weiter...