Max Klinger: Vom Tode. Erster Teil, Opus XI
Der 10 Radierungen umfassende Grafikzyklus "Vom Tode. Erster Teil" besteht aus einer losen Folge von Bildern des unerwarteten Todes. Obwohl erst 1889 mit einer Auflage von zunächst nur 20 Exemplaren erschienen, beschäftigt sich Max Klinger schon ab 1882 mit dem Gedanken, einen Zyklus von Radierungen zum Thema Tod zu schaffen.
Es liegt nahe, die Blätter des Opus XI in die Tradition der mittelalterlichen Totentänze zu stellen. Doch während deren tröstliches Thema die Gleichheit vor dem Tod war, richtet Klinger seinen Blick auf die Grausamkeit des unerwarteten Sterbens, das den Tod für den modernen, vom Gedanken der Beherrschbarkeit von Tod und Leben besessenen Menschen umso unerbittlicher macht.
[Singer-Nr. 171-180]
 | Nacht, Bl. 1 Eingeleitet wird der Zyklus von einer melancholisch-symbolistischen Selbstdarstellung des Künstlers, welcher in einer dunklen Stunde über das Unergründliche des Lebensweges und über den Tod nachsinnt, indem er einen Schmetterling (die Seele) beobachtet, der eine weiße Lilie (ein Sybol der Reinheit aber auch des Todes) umfliegt. |
 | Seeleute, Bl. 2 Das obere Bild zeigt den Menschen in auswegsloser Situation zwischen Riesenschildkröte und Abgrund. Die Schiffbrüchigen, untereinander im Streit, haben keine Chance auf Rettung. Das untere Bild zeigt, wie der Tod alle Menschen unterschiedslos in den Höllenrachen treibt. |
 | Meer, Bl. 3 Die Hand des Todes bringt im Sturm ein modernes Dampfschiff zum kentern. Die Seeleute, die mit dem zum stählernen Sarg werdenden Schiff untergehen, sind nicht zu sehen. Der Rahmen der Radierung zeigt die Tiefsee, in der Mitte die Unteransicht eines Schädels als memento mori. |
 | Chaussee, Bl. 4 Ein friedliches Landschaftsmotiv, das Klinger aus dem früheren Zyklus “Vier Landschaften” übernommen hat. Nun ist es aber von einer Katastrophe gezeichnet: Ein Blitz hat eingeschlagen, ein Baum ist zersplittert, ein Mann liegt tot auf dem Weg. |
 | Kind, Bl. 5 Ein Sommertag, der Tod führt im Hintergrund das Kind davon, das er aus dem Kinderwagen genommen hat. Die träumende Mutter ahnt noch nichts von diesem Unglück. |
 | Herodes, Bl. 6 In der Blüte seiner Macht wurde der Herrscher vom Tod von seinem Thron gestoßen. Sterbend wird er zur kläglichen Kreatur. Ein Geharnischter steht in der Umrahmung und tritt nach der Krone des gestürzten Königs. |
 | Landmann, Bl. 7 Tödlich getroffen vom Hufschlag seines Pferdes wird der Bauer bildlich vom Erdboden verschluckt. |
 | Auf den Schienen, Bl. 8 Der genüsslich auf den Schienen lagernden Knochenmann wartet auf den nächsten Zug. Dessen Passagiere werden erfahren, dass auch die technischen Neuerungen des Industriezeitalters nicht vor dem Tod schützen. |
 | Arme Familie, Bl. 9 Dargestellt ist das Sterben eines Armen Mannes. Trostlos blicken Frau und Kind ins Leere. Den in der Umrahmung dräuenden Tod können sie nicht sehen. Vielleicht spüren sie ihn aber schon. |
 | Der Tod als Heiland, Bl. 10 Der Tod erscheint als Erlöser. Entsetzt flieht die Mehrzahl der Menschen vor ihm. Nur ein alter, dürrer Mann unterwirft sich. In der Rahmenleiste ist das Leben als Leiden dargestellt. Der vom Leben erlöste Mensch ruht in einer Art Predella im unteren Bildteil - darüber die Zeile: “Wir fliehn die Form des Todes, nicht den Tod; denn unser höchster Wünsche Ziel ist: Tod”. |