Werbeschild der Sektmanufaktur
Das rechteckige Schild besteht aus Stahlblech und ist auf der Rückseite schwarz lackiert, während die Vorderseite bedruckt ist. Auf einem gelben Fond ist eine grüne Weinrebe mit Trauben in der rechten oberen Bildhälfte zu sehen. Über der Weinrebe ist die Aufschrift "Deutscher Sect" aufgedruckt, während sich links daneben ein bekröntes Wappen befindet, das vermutlich für die Familie Bürger steht. Unter dem Motiv befindet sich die Aufschrift "Gegründet 1824. W. F. Bürger & Sohn | Aelteste Schaumweinfabrik Deutschlands | Neuhaus bei Naumburg a/d Saale."
Das auf die Jahrhundertwende zu datierende Werbeschild wurde im Zuge von Sicherungsmaßnahmen im Dachstuhl des Schützenhauses in Naumburg entdeckt. Der Erhaltungszustand des Schildes mit seinen Rostflecken, Abplatzern und Kratzern weist darauf hin, dass es sich wohl schon sehr lange an diesem Ort befand, wahrscheinlich seit seiner Entstehungszeit. Hergestellt wurde das Schild von der Firma Philipp von Zabern in Mainz, wie ein Aufdruck verrät. Da Philipp von Zabern die väterliche Druckerei (nebst Verlag) 1879 übernahm und sie bis zu seinem Tod im Jahr 1902 führte, kann das Schild in diesen Zeitraum datiert werden. Die verwendete Drucktechnik legt das Ende dieses Zeitraums als Entstehungsdatum nahe.
Ein interessantes Detail dieses Werbeschildes ist das herausgehoben präsentierte Gründungsjahr 1824 der Firma Bürger und Sohn. Man mag darüber staunen, denn in der einschlägigen Literatur liest man gewöhnlich, dass die erste deutsche Sektkellerei 1826 in Esslingen am Neckar gegründet wurde - durch den ehemaligen Geschäftsführer von Veuve Clicquot, Georg Christian Kessler. Weshalb behauptet dieses Firmenschild dann, dass Bürger & Sohn Deutschlands älteste Sektproduzenten waren? Kam der erste deutsche Sekt aus Naumburg?
Der Gründer der Firma - Wilhelm Friedrich Bürger - war gelernter Kaufmann und führte neben einem Tabakhandel auch einen Kolonialwarenhandel in Leipzig. Vielleicht aufgrund der Tatsache, dass der aus Frankreich eingeführte Champagner seiner Kundschaft zu teuer war, diese jedoch auf das prickelnde Getränk nicht verzichten wollte, möglichweise auch aus der Hoffnung heraus, dass Produktion und Vertrieb gute Gewinne versprachen, führte Bürger eigene Versuche zur Herstellung von Schaumwein durch. Diese gipfelten schließlich 1824 in der Herstellung des eigenen so genannten "Vaterländischen Champagners", von dem wir allerdings außer dem hochtrabenden Namen nichts wissen, weder sind Nachrichten über das Herstellungsverfahren noch über die Qualität überliefert. Die Trauben für seinen Schaumwein bezog Bürger unter anderem aus dem Naumburger Weinbaugebiet. Wie auch immer: der Produktionsort des Bürgerschen Getränks war vorerst auf jeden Fall Leipzig.
In diesen Jahren nahm die Anzahl der in und um Naumburg ansässigen Weinproduzenten stetig zu und die Anbaufläche der verschiedenen Traubensorten wurde nach und nach erweitert. So ist es nicht verwunderlich, dass Bürger ab den 1830er Jahren mit dem (erst kurz zuvor zugewanderten) Eulaer Rittergutsbesitzer Trinius zusammenarbeitete und dass er bald auch die dortigen Produktionsräume zur Sektherstellung nutzte. Ab 1835 weitete Trinius die Anpflanzungen auf seinen Weinbergen aus und ließ die Trauben vornehmlich zu „Champagner“ verarbeiten.
Wie viele Menschen sich in dieser Zeit dem Weinanbau widmeten, kann nur vermutet werden. Die Zahl derer, die den Weinbau als Haupterwerbszweig betrieben, lag deutlich unter der Zahl der Nebenerwerbstätigen. Bemerkenswert ist allerdings, dass im Jahre 1853 an einer Versammlung des Vereines zur Beförderung des Gartenbaues in den königlich preußischen Staaten allein 24 Personen aus Naumburg teilnahmen und ihre Trauben vorstellten. Darunter war natürlich auch Herr Trinius, der "ein ziemlich reiches Sortiment von Weinbergstrauben, aber ohne Bezeichnung, jedoch von guter Reife" anbot.
Die Präsentation des fertigen "Champagners", der dafür verwendeten Weintrauben sowie der dafür benötigten Technik waren wichtige Maßnahmen, um die Öffentlichkeit mit dem prickelnden Getränk vertraut zu machen und die Bekanntheit der eigenen Produkte zu steigern. Daher nahm Bürger bereits 1844 an der Allgemeinen Deutschen Gewerbeausstellung in Berlin teil. Dort präsentierte er als 695. Aussteller sechs Flaschen "künstlichen Champagners", sowie Grundstoff zur Bereitung desselben in mehreren Flaschen, welche ihm zwar keinen Preis einbrachten, aber wohl seine Bekanntheit als Schaumwein-Produzent steigerte. Das Urteil der Preisrichter für den "Eulauer Mousseur" genannten Sekt lautete: „sehr stark und süß, dabei weniger moussierend“.
Ein wichtiges Hilfsmittel für den Verkauf war die Nutzung des Namens "Champagner", der damals noch nicht markenrechtlich geschützt war und einen aus Frankreich stammenden, perlenden Wein bezeichnete. Die deutsche Bezeichnung "Sekt" stammt wohl von dem Schauspieler Ludwig Devrient, und wurde ab den 1830er Jahren dazu benutzt, deutschen von französischen Schaumwein abzugrenzen. Interessanterweise wußten die "Annalen der Landwirtschaft" des Jahres 1845 zu berichten, dass in Naumburg, Eulau und Weißenfels etwa 80.000 bis 100.000 Flaschen jährlich abgefüllt wurden. Die meisten davon wurden auswärts vertrieben und schließlich als echter Champagner unter falscher Etiquette verkauft. Diese Verkaufspraxis wurde über Jahre hinweg beibehalten, wie man auch aus dem "Neuesten Reisehandbuch für Thüringen" erfährt. Hier berichtete man über das Geschäftsjahr 1864, in dem die Champagnerfabriken von Bürger in Neuhaus und Robin gute Geschäfte machten. Ihr Schaumwein stünde den französischen Fabrikaten nicht nach, habe sich aber nur durch die französische Uniform Eingang in die Häuser verschafft. Schließlich würden nur die besten Sorten zur Ehre des deutschen Namens, unter eigener Firma verkauft.
Erst im Jahre 1857 hatte Bürger das Grundstück in Naumburg-Neuhaus erworben und dort seine Champagner-Fabrik samt einer Weinhandlung eingerichtet. 1867 nahm er an der Pariser Weltausstellung teil, wobei die Firma zu diesem Zeitpunkt schon durch den Sohn Bernhard Bürger geleitet wurde. Fünf Flaschen Wein verschiedenster Qualität stellte Bürger in der Preisklasse "Gegorene Getränke" zur Begutachtung vor. Der Katalog zur Weltausstellung verzeichnet als Besonderheit zur Herstellung des moussierenden Weines, dass die Produktion nicht durch Anwendung von Kohlensäure entwickelnden Apparaten, sondern auf natürlichem Wege, ganz nach dem Verfahren der Champagne (d.h. der klassischen Flaschengärung) erfolge. Auch hier wurde bewusst das Jahr 1824 als Gründungsjahr des Betriebes angegeben. Regionale Konkurrenten in dieser Klasse waren übrigens der Naumburger Carl Köhlmann, der seinen Wein präsentierte, sowie die Champagnerfabrik Kloss & Förster, später besser als Rotkäppchen-Sektkellerei bekannt.
Ende der 1860er Jahre verkaufte Bernhard Bürger die Fabrik an einen Neffen namens Schröder. Dieser führte die Champagnerherstellung noch bis zur Schließung des Hauses 1913 fort. Aus seiner Zeit stammt unser Werbeschild.
Stammdaten
Erwähnt ist Wilhelm Friedrich Bürger & Sohn, Leipzig/Naumburg