Utas schöne Schwester
Die Naumburger Stifterfigur Uta ist nicht die einzige steinerne Schöne, die in den 1920er Jahren ins Rampenlicht trat. 1924 wurde im Neuen Museum der Berliner Museumsinsel zum ersten Mal eine Büste ausgestellt, die bereits im Jahr 1912 von dem Ägyptologen Ludwig Borchardt ausgegraben und nach Berlin gebracht worden war. Zunächst hatte die Büste keinen sonderlichen Eindruck gemacht, aber nach der Präsentation im Neuen Museum änderte sich dies gründlich: ein beispielloser Presserummel brach los, die ägyptische Königin Nofretete, seit mehr als 3000 Jahren tot, wurde zum Covergirl und zur modischen Leitfigur. Es entstand eine Flut von Gedichten, Novellen und Theaterstücken.
Nofretete entsprach dem neuen Frauenbild der Nachkriegszeit und sie beeinflusste es zugleich: gertenschlank statt mütterlich-rundlich, die ebenmäßigen Züge noch unterstrichen durch das konturierende Makeup. Nofretete wurde zum Vorbild der modernen, selbstbewussten Frau, die weder Kindchen noch Mutter sein musste, um wahrgenommen zu werden. Sie faszinierte sowohl Frauen und Männer, wie dies die frühen Ufa-Stars taten, Greta Garbo an erster Stelle.
Und Nofretete wurde begehrt, das macht sie um so interessanter. Ägypten fordert die Büste zurück, man glaubte, von Borchardt hinters Licht geführt worden zu sein. Die Rückgabe verhindert Hitler persönlich, der die Büste „ein Meisterwerk, ein Juwel, ein wahrer Schatz“ genannt haben soll und für sie einen eigenen Ausstellungsraum im Museum seiner Wahnstadt „Germania“ vorsah.
Nach dem Krieg schließlich entbrannte ein lang anhaltender Streit zwischen den beiden deutschen Staaten, weil die Büste nach Ansicht der DDR zu Unrecht in Westberlin festgehalten wurde.
Die Rezeption der vermeintlich „deutschen“ Uta wird man auch als Reaktion auf den Nofretete-Kult begreifen können, als Versuch, der exotischen Schönen den Typus der „germanischen Frau“ entgegen zu setzen. Zu "Deutschen Ikonen" wurden sie, seltsam genug, wohl beide.
Der Hersteller unserer durchaus qualitätvollen, stark verkleinerten Reproduktion, die vermutlich um 1960 entstanden ist, stammt aus den "Kunstwerkstätten" Paul Keilbar in Naumburg, die in der Neitschützer Str. 23 untergebracht war. Leider ist über Keilbar, der ab 1937 in den Adressbüchern nachweisbar ist, bislang kaum etwas bekannt und es wäre schön, wenn auf diesem Wege Informationen über Keilbars Werkstatt und seine Produkte gewonnen werden könnten. Es wäre interessant zu erfahren, warum in der Heimat Utas gerade die im westdeutschen Exil befindliche Nofretete reproduziert wurde.