
Nietzsche in Naumburg
Die "Nietzsche-Straße"
Während allenthalben im Zusammenwirken von Werbeagenturen, Tourismusorganisationen und Wirtschaftsverbänden Wein- und Bierstraßen, Romantik- und Romanik-, Klassiker- und Märchenstraßen kreiert werden, hat sich ganz ohne Werbung, ohne bunte Beschilderung und grelle Prospekte unter Kennern so etwas etabliert wie eine "Nietzsche-Straße", welche die wichtigsten deutschen Stationen des Lebensweges Friedrich Nietzsches verbindet. Vom Geburtsort Röcken bei Lützen führt er über Naumburg und Schulpforte ins Thüringische, nach Tautenburg und Weimar. Wie kaum ein anderes ist Nietzsches philosophisches Werk verwoben mit der eigenen Biographie und entsprechend groß ist das Interesse der Nietzsche-Leser an den authentischen historischen Schauplätzen. Aber jeder der genannten Orte ist in Nietzsches Biographie mehr als nur Schauplatz. So ist Röcken für Nietzsche immer das Vater-Dorf geblieben: ländliche Idylle, intaktes Familienleben, der dominante Vater im tragischen Ringen mit seiner unheilbaren Krankheit und mit Gott. Alles wird tief und ernst und bedeutungsvoll im familiären Rückblick, Röcken bald so entrückt wie das Bild des Vaters selbst. Naumburg hingegen ist die Mutter-Stadt, ist und bleibt konkret, real existierender Protestantismus, geschäftige Kleinstadt und banaler Alltag. Hier und in Schulpforte erhält der begabte Junge aber auch seine Schulbildung, der er vor allem den Zugang zur Klassischen Literatur verdanken wird.. Vieles von dem, wovon sich Nietzsche später zu lösen versucht, manifestiert sich hier in Naumburg, vieles aber auch von dem er nie wirklich loskommt. Zeit seines Lebens bleibt er mit seiner Mutter und der Saalestadt wie durch eine Nabelschnur verbunden, so weit er sich auch geistig und physisch entfernen mag. Wenn es in Nietzsches späterem Leben zwischen Basel, Sils-Maria, Nizza und Turin überhaupt einen ruhenden Pol gegeben hat - auch wenn dies zeitweise nur ein ruhender Anti-Pol gewesen sein mag -, dann war es Naumburg. Die letzte Station seines Lebensweges hingegen, das heute so präponderante Weimar, hat seine Bedeutung in diesem Zusammenhang vorzüglich als Wirkungsort der Schwester Elisabeth erhalten, als Standort des von ihr aufgebauten und gelenkten Archivs mit seinen einzigartigen Beständen, der heute noch immer schwer daran trägt, auch Schaubühne eines irrationalen Nietzsche-Kults, der illegitimen Aneignung und der Manipulation gewesen zu sein.
Das Nietzsche-Haus
Bescheidene Wohnverhältnisse
Franziska Nietzsche erwirbt das Haus

Friedrich kehrt zurück
Das Nietzsche-Haus heute
Das Nietzsche-Haus blieb bis 1991 Wohnhaus. Mittlerweile in bedenklichem baulichem Zustand - seit den Arbeiten, die noch Franziska Nietzsche hatte durchführen lassen, waren keine wesentlichen Erhaltungsmaßnahmen mehr durchgeführt worden - wurde das Gebäude im selben Jahr von der Stadt Naumburg erworben. Die anschließenden restauratorischen Untersuchungen lieferten zahlreiche Befunde, aber kein genaues Bild davon, wie die Räume zur Zeit Franziska Nietzsches ausgestattet waren. Unsicher sind unsere Kenntnisse über die Nutzung der einzelnen Räume, die sich zudem mehrfach änderte. Auch von Franziska Nietzsches Mobiliar ist in Naumburg nichts erhalten. Für die Neugestaltung der Einrichtung wurde deshalb auf historisierende Elemente wie den Neudruck "alter Tapeten" und Möbel aus dem Museumsmagazin oder vom Antiquitätenmarkt verzichtet. Es sollte nichts vorgetäuscht werden, was in Wirklichkeit für immer verloren ist.
Neue Aufgaben
Friedrich Nietzsche gehört zu den bedeutendsten, aber auch zu den umstrittensten europäischen Denkern der neueren Zeit. Zum "umstrittenen" Philosophen wurde er nicht zuletzt durch die wiederkehrenden Versuche, seine Ideen auf Leitsätze und Schlagworte - "Übermensch", "Blonde Bestie", "Wille zur Macht" - zu verkürzen. Aus dem Zusammenhang gerissen, wurden sie für die verschiedensten Zwecke nutzbar gemacht. Die Vordenker des Nationalsozialismus schadeten Nietzsches Ansehen auf diese Weise dauerhaft, in der DDR wurde sein Name lange Zeit tabuisiert. Es wird deshalb an diesem Ort nicht der Versuch unternommen, dem Besucher abermals eine Kurzfassung der Ideen Nietzsches zu vermitteln. Das Thema der Ausstellung - und dieses Begleitheftes - ist das Leben Friedrich Nietzsches und besonders seine Beziehung zu Naumburg. Darüber hinaus will das Haus Gelegenheit geben, Nietzsches Werke in verschiedenen Ausgaben und eine Auswahl der vielfältigen Literatur über ihn - alle aufgestellten Bücher sind großzügige Geschenke von Verlage und Autoren - selbst in die Hand zu nehmen und sich vielleicht festzulesen.
Die Gestaltung der Ausstellungsräume
Bei der Gestaltung wurde bewußt auf großformatige Tafeln und eine spezielle Ausstellungsbeleuchtung verzichtet, um einen Eindruck von der ursprünglichen Privatheit der Räume zu geben. Die Gestaltung des Mobiliars orientiert sich an den traditionellen Formen des Tischlermöbels. Für die Neueinrichtung des Hauses stellten sich drei Aufgaben, die sich unter den Bedingungen, die das Gebäude bietet, in drei Bereiche gliedern. Der Vortrags- und Seminarraum im Erdgeschoß bildet zusammen mit dem Flur im täglichen Betrieb das Foyer, in dem sich der Besucher orientieren kann und von dem aus sein Rundgang beginnt. Außerhalb der Öffnungszeiten steht dieser Raum für Gruppenveranstaltungen (Seminare etc.) zur Verfügung. Im Ausstellungsbereich im Erdgeschoß befindet sich die Dokumentation der Lebensstationen Friedrich Nietzsches. Zu sehen sind Texte, reproduzierte Fotografien und Dokumente in geschichtlicher Abfolge. Sie sollen insbesondere dem nicht mit der Person und dem Werk Nietzsches vertrauten Besucher einen schnellen Überblick vermitteln. Der dritte Bereich ist der Ausstellungsbereich im Obergeschoß. Er umfaßt die drei Leseräume, die auch für Sonderausstellungen genutzt werden. Die Einrichtung ist sparsam und so angelegt, daß der Eindruck einer "historischen Ausstattung" vermieden wird. Die hellen Räume sollen den Besucher zum Verweilen und zum Lesen einladen. Die drei Leseräume sind durch drei kleine Durchgangszimmer verbunden, die in ihrer Intimität auf persönliche Themen verweisen: "Friedrich Nietzsche und die Frauen", "Die Reisekarten" und "Das Krankenzimmer". Der Rundgang durch das Haus endet auf der Veranda, auf welcher der kranke Philosoph seine Sommertage verbrachte.