Vor 500 Jahren: als Herr Peltz ausging und der Hausmann schlief.
Die Stadt und das Feuer
1517
Das Jahr 1517 war eines der Schlüsseljahre in der tausendjährigen Geschichte Naumburgs. Damals, vor ziemlich genau 500 Jahren (am 21. Oktober) endete für die Stadt das Mittelalter. Dies lag aber nicht daran, dass ein Mönch in einer Kleinstadt irgendwo im Niemandsland nördlich von Leipzig ein paar für die meisten Menschen der Zeit kaum verständliche Thesen an eine Kirchentüre genagelt hatte. Nein, die noch heute sichtbare Zäsur in der Baugeschichte der Stadt resultierte daraus, dass Heinrich Peltz an jenem Oktoberabend nicht zuhause war und der Hausmann schlief. In Peltzens Haus entstand nämlich, keiner weiß mehr wie, ein Brand, und der Hausmann - das war der arme Mann, der auf dem Turm der Wenzelskirche wohnte - kam seiner Pflicht nicht nach, nach der es ihm eigentlich oblegen hätte, beständig nach Bränden Ausschau zu halten und gegebenenfalls unverzüglich und wohlvernehmlich „Feurio!" oder was auch immer zu rufen und die Bürger der Stadt zur Brandbekämpfung mit Ledereimern und Handspritzen auf die Beine zu bringen - denn nur so lange sich noch keine richtige Feuersbrunst entwickelt hatte, bestand mit den zur Verfügung stehenden Mitteln überhaupt eine Chance, ein Feuer unter Kontrolle zu bringen. Dies unterblieb dank der Schläfrigkeit des Hausmannes aber, und die immer weiter aufschießenden Flammen hatten Gelegenheit, auf Peltzens Nachbarhäuser überzuspringen und dann von Haus zu Haus und von Stroh- zu Schindeldach zu fliegen und schließlich innerhalb kürzester Zeit einen großen Teil der Bürgerstadt in Schutt und Asche zu legen. Als sich die Rauchwolken schließlich lichteten und die Brandstätten sichtbar wurden, zeigte sich, so Nikolaus Krottenschmidt, der die Katastrophe selbst miterlebt hatte, dass die Stadt „im grundt erschrecklich außgebrant [war] bis auf wenig Heuser in der Mergengas, auf der Pfar vnd im Sack, vnd [...] das man auf dem Margk erschrecklich zu allen Thoren hinaus gesehen.”
Gewiss, der Brand von 1517 war einer von vielen, die die Bürgerstadt wie auch die Domfreiheit und die Vorstädte im Verlaufe des Spätmittelalters immer wieder heimgesucht hatten. Es mag wohl sein, dass die mehr als 700 Gebäude, die den Flammen in jenem Jahr zum Opfer gefallen sein sollen, die Schäden aller vorausgegangenen Brandkatstrophen übertrafen, aber das ist letztlich unerheblich. Was 1517 zum Wendejahr machte, ist das, was nach dem Brand geschah. Denn mit dem Wiederaufbau änderte sich das Gesicht der Stadt gründlich.
Waren zuvor auch die Bürgerhäuser in der Kernzone der Bürgerstadt vorwiegend in Fachwerkbauweise errichtet, so entstanden nach 1517 nach und nach massive Steinhäuser an ihrer Stelle. Man darf sich nun aber nicht vorstellen, dass dies in zwei oder drei Jahren geschah und man wird auch das eben angeführte Krottenschmidt-Zitat nicht allzu wörtlich nehmen dürfen. Häuser, von denen man sagte, sie seien „abgebrant”, können vollständig niedergebrannt gewesen sein oder aber auch nur durch den Brand beschädigt. Wenig deutet darauf hin, dass die Bürgerstadt nach dem Brand gänzlich unbewohnbar gewesen wäre, wie man vielleicht meinen könnte. Aber der Brand führte zunächst zu provisorischen Reparaturen und dann zu einer regen Neubautätigkeit und nachdem die ersten großen Renaissance-Häuser ihre stolzen Fassaden mit den großen, rechteckigen Fenstern in den Hauptstraßen erhoben - rückwärtsgewandte Wutbürger mögen gegen diese unförmigen Kästen aus Glas und Stein laut gewettert haben -, erschienen die verbliebenen mittelalterlichen Fachwerkhäuser zunehmend als altmodische, aus der Zeit gefallene Relikte einer untergegangenen Welt, die ihren wohlhabenden Besitzern zunehmend peinlich sein mussten. Die Baukonjunktur, die um die Mitte des Jahrhunderts einem Höhepunkt entgegen ging, war eine direkte Folge dieses Prozesses, vergleichbar mit den Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs, in dessen Folge mehr Altbausubstanz durch von einem unbedingten Erneuerungswillen gesteuerte Bagger als durch Bomben endgültig zerstört wurde. Wäre Herr Peltz an jenem Herbstabend zuhause geblieben und hätte der Hausmann seine Aufgaben gewissenhaft erledigt, wäre dieser Modernisierungsschub vielleicht nicht über die Stadt gekommen und die Stadt hätte heute noch ihr mittelalterliches Erscheinungsbild. Vielleicht wäre sie aber auch später abgebrannt, oder das Feuer von 1532, das in der Domfreiheit wütete, wäre übergesprungen oder einer der späteren Brände. Aber es zeigte sich, dass die neuen Steinhäuser, die bald auch mit Ziegeln gedeckt wurden, den Flammen deutlich mehr Widerstand entgegenbrachten und schon die folgenden Generationen stellten fest, „dass männiglich, so Naumburg zuvorn gesehen, sagen müssen, dass es besser erbauet, denn es zuvorn gewesen" [Sixtus Braun, Annalen].
Und um noch einmal auf den Wittenberger Mönch zurückzukommen: In einer Beziehung steht auch der Naumburger Stadtbrand zu ihm und seinen Anliegen. Denn kurz nach dem Erlöschen des Feuers ritt der Bischof Philipp zu Freising, Pfalzgraf am Rhein und Administrator des Naumburger Stifts in Naumburg ein, „und hat noch gesehen, dass die Kohlen glimmen, rauchen und dampfen, [...] so ist doch zu verwundern, dass ein solcher erschrecklicher Schaden, den er in Ankunft seines Regiments vor Augen gesehen, ihn zu einer Nachlassung nicht beweget haben solle auch nur eines Jahres Renten” [Braun] - Philip war also nicht bereit, der Stadt den Abgaben-Nachlass zu gewähren, die diese zur Überwindung ihrer prekären Situation haben wollte, während die umliegenden Städte Getreide spendeten und der Kurfürst immerhin eine stattliche Menge Salz schickte. Das angespannte Verhältnis zum Bischof und dem Domkapitel, das durch dessen wenig empathisches Verhalten nach der Brandkatastrophe nicht verbessert wurde, trug unter den Naumburger Bürgern deutlich dazu bei, den Weg für die reformatorischen Gedanken zu ebnen und damit auch zur Akzeptanz der kurfürstlichen Oberhoheit. So naiv war man damals in der Stadt, dass man glaubte, es helfe weiter, einen Herrn gegen einen andern einzutauschen.
Kaum ein Gebäude in Naumburg zeigt heute noch so gut sichtbar die Spuren des Brandes von 1517 wie das Stadtmuseum Hohe Lilie. Schon die Fassade erinnert an den Brand: ein Spitzbogen, der sich im Putz abzeichnet, weist auf die Zeit vor dem Brand zurück, während die Renaissance-Fenster und der Staffelgiebel während der Sanierung der damals schon 250 Jahre alten, vollständig ausgebrannten „Kemenate” entstanden. Im Innern des Gebäudes finden sich Spuren des Umbaus von 1525/26 allenthalben, so dass das Haus ein lebendiges Denkmal gerade auch dieses Wendepunktes der Naumburger Geschichte darstellt.
1714
Während der Brand von 1517 der letzte war, der den Kern der Bürgerstadt - also Markt, Herren-, Salz-, Jakobs- und Marienstraße großflächig schädigte, gingen an der Peripherie, wo die Bebauung schon immer sehr viel schlichter war, im frühen 18. Jahrhundert noch einmal größere Feuer auf. 1716 brannte der südöstliche Bereich zwischen Salzstraße, Neustraße, Wenzelstraße, Weingarten bis bin zur Jakobsmauer. Dies war das letzte derartige Ereignis, das die Stadt heimsuchte.
Zwei Jahre zuvor hatte sich ein Unglück ereignet, das sich noch tiefer in das kommunale Gedächtnis einbrannte. Zwar entstand der weitaus größere Schaden außerhalb der Stadtmauer in der „Herrenfreiheit”, die fast zur Gänze eingeäschert wurde und doch erwies sich das Ereignis auch für die Bürgerstadt als traumatisch; denn während der Petri-Pauli-Messe explodierten wohl alle elf (!) Verkaufsstände, die in der Fischstraße zentnerweise Schwarzpulver feilboten. Die Druckwelle muss gewaltig gewesen sein, umliegende Häuser brachen zusammen, in der ganzen Stadt wurden Scheiben zerstört.
Die Explosion und die schrecklichen Bilder von zerfetzten Körpern, die sich danach boten, verankerte sich tief in der Erinnerung der Zeitgenossen und künftiger Generationen. Es kam hinzu, dass, im Gegensatz zu den vielen Bränden, die sich über die Jahrhunderte ereignet hatten, die Pulverexplosion auch ein publizistisches Echo fand, das die Nachricht weit über die Stadtgrenzen hinaus trug. Neben den üblichen, wenig ergiebigen Bußpredigten und einigen reißerischen Sensationsberichten ist der erstaunliche Bericht des Druckers Balthasar Bossögel überliefert, der uns einen authentischen Einblick in die unmittelbaren Wirkungen des desaströsen Unglücks erlaubt. Wir haben Bossögels Bericht in voller Länge in der Rubrik “Quellen” hinterlegt.
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Pulverschlag-Stele
Pulverschlag-Stele Gedenkstein für Johann Heinrich Zenner Am 29. Juni 1714, während der Peter-Pauls-Messe, ereignete sich in der Fischstraße ein gewaltiges Unglück. Einer der dort aufgestellten Verkaufsstände mit Schwarzpulver fing Feuer, die Pulverfässer explodierten und setzten die umliegenden Häuser in Flammen. Der Wind trieb die Feuersbrunst die Fischstraße hinunter und über die trennende Mau ...
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Stadtbrand 1714 (Bossögel)
Nachdem bißhero von der entsetzlichen und fast nie erhörten Feuers-Brunst/ welche den 29. Jun. 1714. als am ersten Tage der Petri Pauli Messe/ durch Verwahrlosung des Pulvers die gute Stadt Naumburg/ besonders aber die Herren-Freyheit und Vorstädte/ Leider! hart betroffen/ viel Unwahrheiten ausgestreuet worden/ So hat man sich möglichst bemühet / alles genau und richtig zu untersuchen/ und solche ...