Foto: Albert Sticht: Eugen von der Dollen, 1915.
Ein Kindersoldat
In einer der Vitrinen des Naumburger Stadtmuseums „Hohe Lilie“ hängt das Porträt eines Knaben in Uniform. Es handelt sich dabei um ein Gemälde von der Hand des Kölner Portrait-Malers Albert Sticht, das im Jahr 1915 angefertigt wurde. Dargestellt ist Eugen von der Dollen, Spross einer in Naumburg ansässigen Offiziersfamilie. Ein zweites, nicht ausgestelltes, aber in Größe und Malstil entsprechendes Gemälde desselben Malers zeigt den älteren Bruder des Knaben namens Hans-Joachim. Hans Joachim war im Januar des Jahres 1915 mit 27 Jahren als Leutnant des preußischen Ulanen-Regiments Nr. 16 im noch jungen Krieg getötet worden, was wohl den unmittelbaren Anlass für die Anfertigung der Porträts bildete. Wie er sollte auch der später geborene Eugen die Berufssoldaten-Laufbahn einschlagen, wie dies auch schon der Vater getan hatte. Die Familie war nach Naumburg gekommen, nachdem hier nach 1870 mehrere Kasernen errichtet worden waren und sich mehr und mehr Offiziersfamilien dauerhaft in der Stadt ansiedelten. Auch der 1901 geborene Eugen sollte das Kriegshandwerk gründlich erlernen, weshalb er, als er neun oder zehn Jahre alt war, in der 1900 in Naumburg eröffneten „Kadettenvoranstalt“ eingeschult wurde, um später, sollten es die Leistungen zulassen, in der Königlich Preußischen Hauptkadettenanstalt in Groß-Lichterfelde bei Berlin zum Offizier ausgebildet zu werden.
Die Naumburger „Kadette“ war Teil jeder militärischen Infrastruktur, die das Kaiserreich aufbaute, um den Großmachtphantasien des Kaisers und seiner Gefolgsleute zu entsprechen. Als letzte von acht solcher Einrichtungen wurde im Jahr 1900 die Naumburger Kadettenschule als Internats-Schule mit den Klassenstufen 5 bis 8 für etwa 180 bis 200 Schüler pro Jahrgang eröffnet. Der Lehrplan entsprach dem der Realgymnasien, durch eine militärische Ausbildung ergänzt. Der Eintritt erfolgte frühestens mit dem zehnten Lebensjahr. Das hohe Schulgeld, das um 1900 immerhin 900 Mark betrug, sorgte dafür, dass die Ausbildung – trotz möglicher Ermäßigungen – Söhnen aus Offiziers- und höheren Beamtenfamilien und damit staatstragenden Bevölkerungsschichten vorbehalten blieb.
Nach Ende des Ersten Weltkriegs vorerst entmilitarisiert, beherbergte das riesige Kadettengebäude eine „Staatliche Bildungsanstalt“, die sich der Reformpädagogik verschrieb. 1934 wurde diese umgewandelt in eine NAPOLA (Nationalpolitische Lehranstalt), eine Kaderschmiede des Nazi-Reiches. Es folgte nach 1945 die „Nationale Volkspolizei“ und 1956 unternahm die DDR den grotesken Versuch, die Kadettenschule wiederzubeleben, der allerdings bereits 1961 wieder eingestellt werden musste. Seither dient der Gebäudekomplex vorwiegend Einrichtungen der militärischen Sprachenausbildung.
Eugen von der Dollen aber, der zarte Knabe in der Kadettenuniform auf unserem Gemälde, hat das alles nicht mehr erlebt. Schon zwei Jahre bevor sein Bruder für Krupp und Kaiser sein Leben ließ, war der Junge beim sportlichen Drill unglücklich hingefallen. Seine Schmerzen verheimlichte er tapfer, weil Tapferkeit und Härte gegen sich und andere schließlich Ausbildungsziele der „Anstalt“ waren. Wenige Tage nach seinem Sturz erlag er seinen inneren Verletzungen. Das war am 16. August 1913, da war er noch keine zwölf Jahre alt, ein Kindersoldat, noch viel mehr Kind als Soldat.